„Ich mache gar nix mehr“
Längere Zeitungsartikel über Herbert Achternbusch beginnen oft mit einer launigen Schilderung, wie schwer der Mann zu erreichen sei. Oft weigere er sich, ans Telefon zu gehen, hänge den Hörer aus, um niemanden sprechen zu müssen. Oder man habe Mühe, ihn überhaupt ausfindig zu machen, weil er sich gerne in sein abgelegenes Anwesen im österreichischen Waldviertel zurückziehe.
Doch diesmal geht es ganz schnell. Drei-, viermal klingelt es am anderen Ende der Leitung in der Münchner Wohnung, dann meldet sich eine leise, aber feste Stimme. Es ist Achternbusch, der an diesem Samstag (23. November) 75 Jahre alt wird.
Wider Erwarten wirkt Achternbusch – der Schwierige – gar nicht genervt. Was er denn treibe? Ob er an einem neuen Theaterstück arbeite oder einem neuen Buch? Ein Bild male, oder gar noch einen Film drehe? „Nix, gar nix. Ich liege seit drei Jahren im Bett“, entgegnet der Filmemacher, Schauspieler, Maler und Dichter. Vor allem in den 70er und 80er Jahren erregte er mit seinen Anarcho-Streifen in CSU- und Kirchenkreisen heftigsten Unmut. Jetzt sei er krank – die Beine. „Ich komme nicht mal mehr die Treppe runter.“
Es ist still geworden um den einstigen Provokateur vom Dienst, den Einzelgänger, der die Brüche seines eigenen Lebens, seine Ablehnung bürgerlicher Regeln in mitunter bizarre, kommerziell kaum verwertbare Kunstprodukte umsetzte. Davon zeugen schon die Titel seiner Filme: „Der Neger Erwin“ (1981), „Das letzte Loch“(1981), „Heilt Hitler“ (1986) oder „I know the way to the Hofbrauhaus“ (1991).
In „Der Depp“ (1982) wird am Ende der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß im Hofbräuhaus vergiftet, was ihm dessen Intimfeindschaft eintrug. Leitthemen seiner zahllosen Filme, Bücher und Theaterstücke sind das Spießertum, die Hitlerei und immer wieder er selbst und seine Herkunft – uneheliches Kind einer Sportlehrerin, die später Suizid verübte.
Er kam in München zur Welt, wuchs aber bei seiner Großmutter im Bayerischen Wald auf. Sein Vater war Zahnarzt. Ein Filou, dem Alkohol und den Frauen zugetan. Nix habe er von ihm geerbt, sagte Achternbusch einmal, was zu hinterfragen wäre. Eines seiner letzten Theaterstücke „Kopf und Herz“ ist ein atemloser Monolog einer Frau mit ihrem ungewollten Kind im Bauch. Ein Fest für Psychoanalytiker. Und immer wieder Bayern, immer wieder München. Wohl niemand, außer vielleicht der geniale Österreich-Hasser Thomas Bernhard, konnte seinen Heimatekel, der natürlich immer auch eine verkappte Heimatliebe war, so zelebrieren wie Achternbusch.
„Ich mag in Bayern nicht einmal mehr gestorben sein“, lautet ein Satz. Ein anderer: „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt.“ Das kann man auch als Hybris bezeichnen. Trotzdem blieb er der Stadt treu, feierte in München seine größten Erfolge, etwa unter dem ihm gewogenen Intendanten Dieter Dorn an den Kammerspielen. 2008 ehrte ihn das Münchner Filmfest mit einer Retrospektive.
Ob er daran leide, nie ein wirklich großes Publikum gefunden zu haben? Nein, lautet die Antwort „Ich hätt's ja machen können, aber mich hat der Mainstream nie interessiert.“ Jetzt scheint es, als schließe sich sein Lebenskreis in München. In Österreich, seiner märchenhaft bemalten „Einsiedelei“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb, war er schon lange nicht mehr. „Da muss ich zum Einkaufen 16 Kilometer mit dem Auto fahren. Das ist zu umständlich.“
Vielleicht weniger seine Werke als die teils wütenden Reaktionen darauf machten ihn bundesweit bekannt. Als Reaktion auf seinen tabufreien Jesus-Film „Das Gespenst“ (1983) verweigerte ihm der damalige CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann bereits zugesagte Fördergelder – wegen Blasphemie. In dem Film, der in Stuttgart, Graz und Zürich sogar beschlagnahmt wurde, steigt Jesus in einem Kloster vom Kreuz herab und bandelt mit der Oberin an.
Fast zehn Jahre prozessierte Achternbusch, bis er Recht bekam und Fördergelder in Höhe von 300 000 Mark nicht zurückzahlen musste. Auch privat ließ er es krachen, zeugte sechs Kinder mit drei Frauen. Jetzt kümmert sich seine Tochter Judit um ihn, eines von vier Kindern aus seiner ersten Ehe mit einer Kunstlehrerin. Was er immer am liebsten gemacht habe? „Gemalt“, lautet die überraschende Antwort.
Aber auch dazu komme er jetzt mehr. „Ich mache gar nix mehr“, sagt er. „Ich geh nur noch zum Essen und zum Scheißen.“ Und er sehe fern, „den ganzen Tag, alles was kommt.“
Ob er darunter leide, dass seine künstlerische Produktion erlahmt sei? „Erlahmt“, fragt Achternbusch, durchaus nicht pikiert. „Man kann auch sagen, vollendet.“