Ich mach’s trotzdem!

Alt-Rocker? Marius Müller-Westernhagen ist über jegliche Peinlichkeiten erhaben und überwältigt das „schwierige“ Münchner Publikum
von  Abendzeitung

Alt-Rocker? Marius Müller-Westernhagen ist über jegliche Peinlichkeiten erhaben und überwältigt das „schwierige“ Münchner Publikum

Das Wichtigste zuerst: Westernhagen, obschon ein Greis von 61 Jahren, schafft es ohne Rollator auf die Bühne. Auch hält er seine spillerigen Bewegungen bis zum Schluss durch; rüstig stakst er über die Bühne, die Grobmotorik scheint zu funktionieren. Dabei hatten die Kollegen aus der Kulturredaktion doch gewarnt: Westernhagen komme daher wie der späte Harald Juhnke, er singe nur schlechter.

Wahrscheinlich müssen sich alternde Rockmusiker so etwas einfach gefallen lassen; es steht wohl im Kleingedruckten jedes Popstar-Vertrages: Ab 50 sind Sie zum Verhöhnen freigegeben. Was man dagegen tun kann? Nichts, außer sich früh genug umzubringen (so wird man zur Legende) oder nie wieder ein Mikro in die Hand zu nehmen.

Andererseits ist bei so erfolgreichen Menschen wie Marius Müller-Westernhagen grundsätzlich Mitleid unangebracht, und wäre er bei seiner Comeback-Tournee nur annähernd so peinlich wie befürchtet, dürfte man sich auch über ihn lustig machen. Nur: Er ist es nicht. Westernhagen liefert, nun muss es raus, in der Münchner Olympiahalle ein phantastisches Konzert ab.

Als er nach acht Zugaben (inklusive der wunderschönen Schnulze „Freiheit“) am Bühnenrand die Arme ausbreitet, scheint ihm der überbordende Jubel des Publikums selbst ein bisschen unheimlich zu sein. Marius, der Düsseldorfer Salon-Rocker, der es in dieser Stadt nie leicht hatte, wird gefeiert wie zu seinen besten Tagen. „Ich habe meiner Band gesagt, dass das Münchner Publikum schwierig ist“, ruft er nach den ersten Nummern, „nach diesem Konzert werden die mir nie mehr etwas glauben.“

Ach was, Alter!

Dabei ist die Olympiahalle höchstens zu zwei Dritteln voll, und Westernhagen spielt keineswegs nur die alten Kracher. Vor allem stellt er sein neues Album vor, das „Williamsburg“ heißt. Die Songs daraus klingen mainstreamig, melodisch und kommen beim Publikum (die meisten Fans sind über 40) super an. Aber das allein ist es nicht.

Was die Menschen in der Halle spüren, ist dieses sympathisch-trotzige Grundgefühl: Ihr schreibt mich ab, aber ich mach’s trotzdem. Immer wieder kokettiert er mit seinem Alter; bei „Sexy“ von 1989 scheint er die Zeile „Was hast du dem alten Mann getan?“ ironisch auf sich zu beziehen.

Seine enorm professionelle Band gibt ihm dabei Sicherheit. So kann er sich selbst inszenieren, mit all den coolen Posen, die ihm keiner nachmacht.

Westernhagen mag gealtert sein, seine Kunst bleibt poetisch. Und seine Show macht Spaß. Er sollte das noch eine Weile weitermachen, gerne auch mit Rollator.

Arno Makowsky

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