Ich bin unvergänglich!
Das Beverly Hills Hotel ist Treffpunkt. Nach globalen Riesenhits wie „Poker Face” oder „Just Dance” sind die Erwartungen an Gagas neues Album „Born this Way” hoch. Bevor die Lady erscheint – in einem engen, aber dezenten rosa Kleid und einer Sonnenbrille mit Sternengläsern – spielen Plattenfirmenbedienstete vier Songs vor: Die umstrittene neue Single „Judas”, „Marry the Night” erinnert an eine Disconacht in den 70ern, „Edge of Glory” an den Haarsprayrock der 80er und „Scheiße” an eine Berliner Technoparty. Genug Gesprächsstoff also.
AZ: Mrs. Gaga, was halten Ihre Eltern von Ihrer Musik?
LADY GAGA: Die zwei sind Kinder der Sechziger Jahre, sie waren in den Sixties und den Seventies auf Konzerten, die sind einiges gewöhnt und nicht leicht zu schocken.
Um Ihre neue Single „Judas” gibt es Ärger. Christliche Organisationen unterstellen eine bewusste Provokation.
Scheinbar gibt es nichts Kontroverseres, als einen Popsong über Gott zu machen.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Kirche und Religion?
Ich glaube nicht an die institutionelle Kirche. Ich bin katholisch erzogen und habe in New York eine katholische Mädchenschule besucht. Aber ich bin mit vielen Ansichten nicht einverstanden, die von der Kirche vertreten werden.
Beten Sie?
Ich bete ständig, aber ich bete eher zu meinem verstorbenen Opa oder der toten Schwester meines Vaters. Und ich bete auch zu meinen Fans.
Zu Ihren Fans?
Ja. Und umgekehrt. Wir sprechen alle über Gott. Es ist ja kein Geheimnis, dass meine Liveshows irre Inszenierungen voller Glitzer, Blut und Teufel sind. Aber da sind im Publikum Menschen, die sich das Wort „Schwuchtel” auf den nackten Oberkörper gepinselt haben. Ich finde es faszinierend, wie viel Liebe innerhalb meiner Konzerte herrscht und wie viel Hass draußen vor der Tür.
Was ist Ihr persönlicher Begriff von Gott?
Gott ist Liebe. Darum geht es im Song „Born this Way”. Speziell junge Menschen werden viel zu stark danach beurteilt, wie sie aussehen oder wie sie sich geben. „Born this Way” ist ein Lied für alle die Menschen, die schwul sind oder lesbisch, die sich als Außenseiter fühlen oder in ihrer Schule gemobbt oder gedemütigt werden. Allen, die sich auf irgendeine Weise unzulänglich oder von der Gesellschaft an den Rand gedrängt fühlen, möchte ich Mut zusprechen.
Die gerade beendete „Monster-Ball”-Tournee dauerte über anderthalb Jahre. Parallel haben Sie Singles veröffentlicht und jetzt ein Album. Dazu kommen die vorbereitungsintensiven Auftritte wie etwa bei den MTV-Awards. Wie halten Sie das durch?
Kaffee und Zigarretten! Nein, im Ernst: Ich brauche eine hohe Dosis Adrenalin und die bekomme ich von meinem Fans. Wenn ich zu lange ohne meine Fans bin, dörre ich aus.
Der Druck auf Sie ist enorm.
Ja, ich fürchte mich manchmal davor, dass ich mich selbst verliere, mir alles zu viel werden könnte. Zum Glück passen viele Menschen auf mich auf.
Wie entspannen Sie sich?
Gar nicht. Ich bin derzeit einfach nicht im Freizeitmodus. Ich bin im Modus übersprudelnder Kreativität. Wenn ich wirklich ausruhe, dann lese ich. Ich bin in meinem Beruf permanent von vielen Menschen umgeben, deshalb genieße ich das Alleinsein sehr.
Der Song „Scheiße” ist ein schnelles, Techno beeinflusstes Stück. Gibt es keine schöneren deutschen Wörter?
Ist „Scheiße” kein schönes deutsches Wort? Ich wollte einen Begriff, den jeder kennt und der – zumindest in diesem Zusammenhang – nichts bedeutet. Ich spreche ja auch am Anfang des Liedes in einer Fantasiesprache, die ein bisschen an die deutsche Sprache erinnert, aber totales Kauderwelsch ist.
Wo ist „Scheiße” entstanden?
Tatsächlich in Berlin. Ich war in einem wundervollen Club, dem Lab.Oratory. Dort feiern sie abgedrehte Fetisch- und Sexparties. Mich hat das stark an all die Läden erinnert, in denen ich früher in New York als Tänzerin aufgetreten bin. Ich finde meine Ideen überall. Ich sehe mich selbst ja so ein bisschen als Diebin: von Musik, von Kunst, von Mode. Ich mische die Kunst der Vergangenheit mit der Kunst der Zukunft. Ich bin vor allem eine enge Freundin der Eighties.
Das Stück „Edge of Glory” erinnert stark an den Hardrock der 80er, inklusive Saxofon-Solo.
„Edge of Glory” habe ich geschrieben als mein Opa starb. Das war vor gut einem halben Jahr. Mein Vater und ich, wir sind zu ihm ins Hospiz gefahren, um uns von ihm zu verabschieden. Dann saßen wir abends bei uns Zuhause, also in meinem Elternhaus an dem Piano, an dem ich das Spielen gelernt hatte. Dad und ich tranken Tequila, und ich schrieb „Edge of Glory”, während wir so da saßen, uns betranken und Opa gedachten. Der Song selbst handelt von dem letzten Moment des Lebens. Kurz bevor du die Erde verlässt, merkst du, dass es okay ist zu springen, denn du hast dein Leben wirklich genossen.
Warum ist es ein Rock-Song?
Meine Eltern und auch mein Großvater kommen aus der Arbeiterklasse. Bruce Spring-steen hat diesen Menschen immer gehuldigt, er repräsentiert das Amerika der Arbeiter bis heute wie kein zweiter. „Edge of Glory” ist also eine Referenz an Bruce Springsteen, den Rockstar für Jedermann.
Wieviel Arbeiterklasse steckt in Lady Gaga?
Sehr viel. Ich war in der Popwelt lange Zeit ein Underdog, ich musste kämpfen und schuften. Das habe ich verinnerlicht. Selbst wenn ich sehr erfolgreich und auch Mainstream geworden bin, so existiere ich irgendwie immer noch außerhalb dieser üblichen Popwelt.
Fühlen Sie sich jemals unwohl in den Klamotten, die Sie tragen?
Nun, ich fühle mich sehr unwohl bei dem Gedanken, etwas tragen zu müssen, das ich nicht tragen möchte. Ich hatte früher zum Beispiel immer eine Abneigung gegen die Schuluniform. Ich fand diesen Zwang furchtbar. Mir graut es, nicht ich selbst sein zu können. Ich mache das mit den Klamotten und den Verwandlungen ja nicht nur, um für Spektakel zu sorgen. Sondern weil ich in der Mode, die ich mir aussuche, wirklich zu hundert Prozent Gaga sein kann.
Werden die Menschen in 100 Jahren noch wissen, wer Lady Gaga war?
Das wäre mein größter Traum. Ich will ein großes Erbe hinterlassen, spätere Generationen von Künstlern sollen sagen, dass ich ihr Vorbild bin. Ich sehe mich nicht als Trend oder als jemand Vergängliches.
Sie sind gerade 25 Jahre geworden. Wie stellen Sie sich mit 50 vor?
Ich hoffe, noch genauso frisch, und ich mache immer noch Musik.
Und sonst?
Ich stelle mir vor, dass ich eine Familie haben werde, einen Partner, Stabilität. Und dann gehe ich mit meinen größten Hits auf Welttournee.