„Ich bin jetzt eine Ich-AG“

Friedrich Nowottny wird 80: Die Journalismus- Legende warnt vor neuen Gefahren für die Demokratie und glaubt an die Zukunft der Zeitung
von  Abendzeitung

Friedrich Nowottny wird 80: Die Journalismus- Legende warnt vor neuen Gefahren für die Demokratie und glaubt an die Zukunft der Zeitung

Er moderierte 1000 Mal den „Bericht aus Bonn“, war ARD-Kommentator und Chefkorrespondent sowie WDR-Intendant. Am Samstag wird Friedrich Nowottny 80. Der gebürtige Oberschlesier hat über Jahrzehnte den politischen Journalismus in Deutschland geprägt und lebt in der Nähe von Bonn.

AZ: Herr Nowottny, wie alt fühlen Sie sich wirklich?

FRIEDRICH NOWOTTNY: Wie 80!

Viele würden gerne 20 Jahre jünger wirken. Sie nicht?

Nein, ich hänge dem Wahn „Forever young“ nicht an.

Sie sind weiter als Journalisten höchst aktiv, kommentieren für Phoenix und das Nord-West Radio, Sie vertraten Sandra Maischberger als Moderator und, und… Macht der Journalistenberuf süchtig?

Ich weiß nicht, ob man von Sucht sprechen sollte. Aber Interesse an dem, was in der Welt geschieht – das aufrecht zu erhalten, ist für mich sehr wichtig. Das hält die grauen Zellen frisch und mich wahrscheinlich auch.

Würden Sie heute noch den „Bericht aus Bonn“ aus dem lauten, hektischen Berlin machen wollen?

Eine hypothetische Frage. Aber ich kann sagen: Wäre ich noch so jung wie der jetzige Platzinhaber in Berlin, Ulrich Deppendorf, dann würde ich gerne nochmal diesen Job machen. Das ist einer der spannendsten Aufgaben in der deutschen Fernsehlandschaft.

Sie würden die Bonner Gemütlichkeit nicht vermissen?

Die Bonner Gemütlichkeit im politischen Geschäft, so wie sie heute von Berlin und offenbar auch von München aus vermutet wird, gab es nicht.

Sondern?

Es gab immer jene politische Hektik, die zwischen Jetzt und Gleich nach Entscheidung sucht. Manchmal klappte es, manchmal ging es daneben.

Journalisten sollen heutzutage auch bloggen, twittern, facebooken. Interessiert Sie das Internet?

Das Thema interessiert mich schon deshalb, weil ich gerade an einem Vortrag über Kommunikation und ihre technischen Hilfsmittel arbeite. Aber jene technischen Hilfsmittel, in die Verleger, Radio und Fernsehen momentan sehr viel Geld investieren, die lenken mich meist nur ab. Ich bin als Journalisten heute eine Ein-Mann-Ich-AG und habe nicht soviel Zeit, um das Internet voll auszuschöpfen.

Wie hat sich der Journalismus in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert?

Er hat sich gravierend verändert, denke ich, vor allem, wenn ich sehe, wie manche Verleger darum bemüht sind, ihren journalistischen Personalstamm abzubauen. Das wird nicht zu den Ergebnissen führen, die die Verleger anstreben. Ich habe großen Respekt vor dem Kölner Verleger Alfred Neven DuMont, der vor einiger Zeit seinen Verlegerkollegen zugerufen hat: „Investiert gefälligst mehr in die Redaktionen!“ Der Mann hat Recht und er kann rechnen.

Die großen Verlegerpersönlichkeiten sterben aber langsam aus. Und die Redaktionen geraten immer stärker unter den Druck von Kaufleuten und Verlagsmanagern.

Genau das ist eines der Dramen unserer Zeit. Mancher Verleger hat noch nicht erkannt, dass die gedruckte Zeitung immer noch der Kern der Informationslandschaft ist und noch lange Zeit bleiben wird. Die Zeitung hat Zukunft.

Wie würden Sie dem Normalbürger erklären, welche Gefahr aus der Medienkrise erwächst?

Die Gefahr ist groß, dass die Medienlandschaft austrocknet und für uns alle immer mehr Möglichkeiten wegfallen, sich besser, gründlicher und – wie man heute ja sagt – nachhaltiger zu informieren. Die Flüchtigkeit der elektronischen Medien, ich schließe hier das Web ausdrücklich mit ein, reicht nicht aus, um sich eine fundierte, politische, eigene Meinung zu bilden.

Würde Sie soweit gehen, zu sagen, dass die Demokratie gefährdet werden könnte?

Auf jeden Fall. Wenn die Meinungsbildung in einem demokratischen Gemeinwesen gefährdet ist, gefährdet das die Demokratie selbst.

Sie waren berühmt für parteipolitische Unabhängigkeit. Kommt heute der Druck auf Journalisten nicht noch von ganz anderen Seiten?

Es geht heute vor allem um ökonomische Zwänge. Aber es gibt auch weiterhin den Druck der Politik, die Finger ins Spiel zu bekommen, wie man an diesem völlig überflüssigen Versuch des CDU-Politikers Roland Koch sehen kann, auf die Wahl des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender Einfluss zu nehmen.

Wie widersteht man dem Druck, was ist Ihr Rezept?

Manchmal muss man sich einfach nur schütteln und weiterarbeiten. Unangepasstheit ist eine Voraussetzung für den Beruf. Dabei ist es wichtig, eigene Qualitäten zu entwickeln. Man muss um Abstand bemüht und zugleich nur der Sache verpflichtet sein. Für mich war das Bemühen um Unabhängigkeit immer eine ganz schwierige Sache, die gelegentlich auch persönlichen Mut erforderte.

Ein Blick in Ihre Vergangenheit: Richtig, dass Sie auch mal Schlagzeuger waren?

Das ist aber ganz lange her!

Haben Sie es nicht später mal wieder probiert?

Nein, das nicht. Aber wenn ich eingeladen war zu Diskussionsrunden oder Talkshows hat man mir manchmal ein Schlagzeug hingestellt, um mich zu einem Versuch zu verleiten. Gespielt habe ich nur 1946/47 in grauen, schrecklichen Zeiten. Ich verdiente fünf Zigaretten pro Abend als Honorar. Englische Zigaretten! Die konnte ich am nächsten Tag für fünf Reichsmark verkloppen. Ein Pfund Butter kostete damals 250 Reichsmark…

Aber Sie hätten noch den Rhythmus im Bein für eine stramme Bass-Drum?

Manchmal schon, aber nicht immer! Ich besitze wunderschöne alte Big-Band-Aufnahmen. Wenn ich die höre, dann zuckt mir manchmal schon der Fuß.

Michael Grill

„Happy Birthday, Mr. Bonn“, 16. Mai, 23.15 Uhr im WDR

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