Hurra, die Mauer steht noch
Die Genossen stillen ihren Hunger bei der Imbiss-Kette „Buletta”, deren gelbes B als schäbige Kopie von McDonald’s M auf dem Rücken liegt. Zwischen ihren Brötchenhälften grinsende Gesichtshälften werben für eine Pampe aus Analogkäse, Fettspeck und kubanischen Zuckerersatzstoffen.
Wir befinden uns in der DDR des Jahres 2011. Staatschef Egon Krenz verhandelt mit Bundeskanzler Oskar Lafontaine. Umsiedlungswillige Westbürger werden mit einem Begrüßungsgeld von 850 Mark gelockt. Das Klopapier ist rau geblieben, der Kaffee grauenhaft wie einst. Allerdings müffelt das Land nicht mehr nach Braunkohle, weil nun die fettigen Abgase des von Ölmotoren getriebenen Trabi-Nachfolgers Phobos die Luft verpesten.
Der Autor Simon Urban arbeitet in einer Werbeagentur. Er versteht sein Geschäft: Sein Buch erweitert die Warenwelt der untergegangenen DDR mit täuschend echt erfundenen Markennamen wie dem Duftbaum „Mecklenburger Landapfel”, einem MP3-Player namens „Musikus M IV” von Robotron und dem neuen Rotkäppchen-Sekt „Damenwahl”. Er traut der 1989 auf den Müllhaufen der Geschichte gekehrten Planwirtschaftler sogar einen iPhone-Klon namens „Minsk” zu, dessen aktuelles Modell 6 vorläufig nur Bonzen besitzen.
Laut „Plan D” haben nach der Wende ein paar Millionen die Zone gen Westen verlassen. Dann schloss Krenz die Grenze. Er rief die „Wiederbelebung” aus und gewann Otto Schily als Chef der Staatssicherheit. In dem Buch fallen viele bekannte Namen, aber der Autor ist geschickt genug, ihre Träger nie auftreten zu lassen. Nur die demente, aber immer noch graublau gefärbte Margot Honecker hat einen Kurzauftritt im gleichen Feierabendheim, wo auch Christa Wolf und Luc Jochimsen einquartiert wurden.
Für DDR-Nostalgiker ist das Buch keine Freude, weil zu sarkastisch. Ein verwirrender Fall mit Stasi-Hintergrund und russischem Gas beschert einem liebeskranken Kommissar in Ostberlin beträchtliches Hirnsausen, das sich immer wieder in seitenlangen Wortkaskaden entlädt. Weil der Grundton aber ironisch bleibt, beißt sich der Kunstwille des Autors nicht mit der Form eines anspruchsvoll unterhaltenden Krimis.
Der nach 550 Seiten erreichte Showdown rechnet bissig mit dem linken Glauben an die Weltformel ab. Sahra Wagenknecht gibt’s auch noch: Sie agiert in einem DDR-Blockbuster an der Seite von Peter Sodann als Agentin Laura Kraft. Kein Buch für jedermann, gewiss. Aber wer die DDR vor allem albern fand, wird an diesem erstaunlichen Debüt viel Spaß haben. Der Autor stammt übrigens nicht von drüben, sondern aus der nordrhein-westfälischen Provinz.
Simon Urban, „Plan D”, Schöffling & Co., 552 S., 24,95 Euro