Hörsturz nach Noten
Gelebter Lärmschutz beim BR: In der musica viva ließ das Orchester eine angeblich zu laute Uraufführung platzen. Wie es dazu kam...
Er nennt sich „Saxofon- Schreier“ und augenblutender Extremist intifadisch- eruptiver Lungenschleudern. „Lassen Sie sich liebkosen, aber nicht von mir“, warnte Dror Feiler im musicaviva- Programmheft. Die Musik des 1951 in Tel Aviv geborenen Ex-Fallschirmjägers ist ebenso anarchisch wie erfrischend. Aber auch sehr laut.
„Das Stück beginnt mit Schüssen aus Maschinengewehren, die vom Band zugespielt werden“, sagt Trygve Nordwall, der Interims-Manager des BR-Symphonieorchesters. „Und das ist noch die leiseste Stelle.“ Ein Musiker habe nach der Probe des Stückes drei Stunden unter permanenten Ohrgeräuschen gelitten. Die extreme Dauerlautstärke sei zu hoch gewesen. „Es war meine Entscheidung, ich musste das Orchester schützen“, so Nordwall, der behauptet, einige Stellen seien unspielbar gewesen.
Nicht lauter als Wagner?
Weil Musiker von Weltklasse vorher kaum in die Noten schauen und der selten in München gesichtete musica-viva- Chef Udo Zimmermann sie auch nicht warnte, wurde erst bei den Proben über Grenzwerte diskutiert. Am Freitag beschloss die schweigende Mehrheit der hundertköpfigen Primadonna gegen eine an Neuer Musik interessierte Minderheit, die Uraufführung des Auftragswerks ausfallen zu lassen.
Feiler hält sein Stück für nicht lauter als Schostakowitsch oder Wagner, bei denen es Mariss Jansons‘ Mannen gern krachen lassen. Er war nach eigener Darstellung zu weitgehenden Kompromissen bereit. „Aber weil kein Wille da war, fand sich auch kein Weg“, so der Komponist, dem ekstatische Kraft wichtiger ist als der Lärm an sich.
85 Dezibel sind der EU-Grenzwert
Trygve Nordvall durfte sich als Überbringer der provinziellen Nachricht vor dem gut besuchten Herkulessaal blamieren, Feiler stieß nachher Four- Letter-Words in Richtung Luxusklangkörper und gegen das Management aus. Hintergrund der Posse ist neben dem musica- viva-Unwillen eines Teils der Musiker eine neue EU-Lärmschutznorm, die seit Februar mehr als 85 Dezibel am Arbeitsplatz verbietet.
Im Gasteig trennte den Solo- Schlagzeuger Martin Grubinger neulich eine mobile Plexiglaswand von den Philharmonikern, wie sie auch im Graben des Nationaltheaters verwendet wird. Wenn das Management beim BR mit der Besorgung andernorts üblicher Lärmschutzpfropfen überfordert ist, gehören bald nicht nur Werke von Dror Feiler, sondern auch Bruckner oder Mahler der Vergangenheit an. Sofern die Musiker des Symponieorchesters nicht die leise Kunst des Streichquartetts pflegen, wünschen sie dann als Straßenmusiker einzeln „Guten Abend, gut‘ Nacht“ draußen vor dem Herkulessaal.
Robert Braunmüller
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