Hirnsausen vom Internet macht Kopfschmerzen 2.0
Frank Schirrmachers neuestes Buch „Payback“ warnt vor der Info-Flut im Netz und ist doch nur ein Teil von ihr
Alles steht schon bei Platon. Der alte Grieche erzählt in seinem „Phaidros“ vom noch älteren Ägypterkönig Thamos. Dem überbringt Gott Theut die frohe Botschaft von der Erfindung der Schrift. Aber der Weise winkt müde ab: „Theut, du beschwörst damit ein lästiges, geschwätziges Geschlecht von Scheinweisen, das kein wahres Wissen mehr hat.“
Dieser Text ist die Mutter aller Medienkritik. Seit 2500 Jahren orakelt es sich munter weiter. Alle paar Jahre ist das Abendland wieder in Gefahr. Die Schrift machte Schüler faul. Niemand musste sich mehr erinnern und den ganzen Homer auswendig lernen. Der Buchdruck sorgte für die Arbeitslosigkeit in den Scriptorien und verstopft bis heute die Bibliotheken mit nutzlosem Geschreibsel.
Das Internet ist natürlich schlimmer als Gutenbergs Teufelszeug und die Erfindung des Gottes Theut zusammen. Nach „Das Methusalem-Komplott“ und „Minimum“ macht der „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher nun zum dritten Mal den Apokalyptiker. Er warnt vor der Flut aus Nachrichten, Getwitter und SMS, die alles Menschliche unter sich zu begraben droht.
Kindlicher Wissenschaftsglaube
„Der Computer baut großartige Verbindungen zu anderen Menschen auf, der Preis aber ist ein gestörtes Verhältnis zu uns selbst“, lautet Schirrmachers Grundgedanke. Er untermauert ihn mit allerlei Hirnforschung, die für ihn letztgültige Weisheiten bereithält. An „Wissenschaft“, vor allem wenn sie „amerikanisch“ ist, hält er sich fest wie ein bärtiger Biologielehrer an Konrad Lorenz’ Experimenten mit der Graugans. Verschiedene Meinungen, wie sie in anderen Wissenschaften vorkommen sollen, gibt es unter Hirnforschern anscheinend nicht. Was übers Hirn gesagt wird, hat halt Hirn. Unwiderleglich.
Das Buch ist in knappen, klaren Sätzen geschrieben. Das ist ausnahmsweise ein Nachteil, weil es zur Plattheit führt. Wie es für Schirrmacher nur eine Hirnforschung gibt, so existiert im Internet auch nur eine Suchmaschine namens Google. Den Handel monopolisiert Amazon, und jeder Vorschlag, der bei iTunes gemacht wird, führt nach der Reiz-Reaktionstheorie zum sofortigen Kauf durch den Konsumenten. So glaubt wenigstens Schirrmacher.
Verunsicherte Holzpresse
Das Buch spiegelt die tiefe Verunsicherung des Print-Journalisten in Zeiten des Internet. Nur dank der Wissenschaftsgläubigkeit des Autors wirkt es weniger ranzig als ältere Vorhersagen des Untergangs. Natürlich endet der Prophet mit dem Aufruf zur Umkehr. Da hat Schirrmacher nicht viel zu bieten: „Kein Algorithmus erklärt Mozart und Picasso oder auch nur irgendeinen Geistesblitz, den irgendein Schüler irgendwo auf der Welt hat. Die Bildung der Zukunft lehrt, Computer zu nutzen, um durch den Kontakt mit ihnen das zu lehren, was nur Menschen können.“
Schön. Wir haben uns in diesem Zitat übrigens erlaubt, zwei fehlende Kommas zu ergänzen. Die Botschaft ist also wie beim alten Kant: „Sapere aude!“ Nutz deinen Verstand! In diesem Fall wäre das: Trotz Schirrmachers perfekter Marketingmaschine sich die Lektüre zu verkneifen. Denn dieses Buch ist selbst ein Teil jenes Info-Spam, den es bekämpft.
Robert Braunmüller
Frank Schirrmacher: „Payback“ (Blessing, 200 S., 17.95 Euro)