Hirnkaries und Krokodilstränen

Bei der Aidsgala am Gärtnerplatz lagen die Nerven blank: Weil Verträge nicht verlängert werden, flogen Kunstminister Heubisch einige Buhs um die Ohren – erlesenes Tanztheater gab’s trotzdem
von  Robert Braunmüller

Bei der Aidsgala am Gärtnerplatz lagen die Nerven blank: Weil Verträge nicht verlängert werden, flogen Kunstminister Heubisch einige Buhs um die Ohren – erlesenes Tanztheater gab’s trotzdem


Der personelle Wechsel gehört zur Politik und zum Theater. Beim Rückzug von den Staatsgeschäften fällt man allerdings auf ein weicheres finanzielles Polster als ein Tänzer bei der ausbleibenden Verlängerung seines Vertrags, wenn die Intendanz wechselt.

Im wegen Renovierung bald geschlossenen Gärtnerplatztheater steht die letzte Spielzeit von Ulrich Peters und seines Ballettchefs Hans Henning Paar vor der Tür. Weil der künftige Intendant Josef E. Köpplinger während der Umbauphase auf ein festes Ensemble verzichten will und deshalb die meisten Verträge nicht verlängert hat, liegen die Nerven blank.
Es war daher recht mutig von Wolfgang Heubisch, ein Grußwort für die vierte und wegen Paars bevorstehendem Abgang auch letzte Aids-Tanzgala zu sprechen. Der für den Wechsel politisch verantwortliche Kunstminister wurde mit Buhs und dem Ruf „Bleib daheim!” begrüßt. Als er von den bekannten Schwierigkeiten sprach, die Sanierung des maroden Hauses im Landtag durchzusetzen, gab es heftige Unruhe. Die Erwähnung des Ziels ausgeglichener Staatsfinanzen provozierte den unvermeidlichen Zwischenruf „Landesbank!”.

Auch Peters brachte seine eigene Crew mit

Zuletzt fiel dem lautesten Heubisch-Kritiker in Anspielung auf die berufliche Vergangenheit des Ministers auch noch das schöne Wort vom „Hirnkaries” ein. Der Ärger der Nichtverlängerten und ihrer Fans ist zwar menschlich verständlich, aber jeder, der im Theater arbeitet, müsste eigentlich die Grundvereinbarung kennen, dass künstlerische Verträge aus guten Gründen befristet sind.

Ähnliche Tränen flossen übrigens auch 2006 beim Wechsel von Philip Taylor auf Hans Henning Paar. Auch Peters hat damals seine eigenen Leute mitgebracht, und das nicht zu knapp. Und sein Sturz war auch keinesfalls eine einsame Ministerentscheidung, sondern wurde von Personalvertretern des Theaters nachhaltig betrieben, weshalb Krokodilstränen über die Folgen unangebracht sind.Kunst gab’s bei der Tanzgala auch, und nicht zu knapp. Der Vergleich mit internationalen Gästen stellte das Tanztheater München ins hellste Licht. Das Hausensemble rahmte mit dem hochmusikalischen Trio Brachland und der furiosen Aktenordner-Szene aus Paars Kafka-Choreografie „Das Schloss” den Abend.

Überraschung beim Pas de deux

Dazwischen überwogen überraschende Variationen zum Thema Pas de deux: Nach einem Tango zweier Solisten des Berliner Staatsballetts umkreiste Bridget Bresiner (Gelsenkirchen) ihren saxofonspielenden Bruder, ehe sich Erik Constantin (München) mit seinem schwedischen Kollegen Kristian Refslund tragikomisch auseinandersetzte.

Aus Wien gastierte Masayu Kimoto mit dem furiosen Solo „Mopey”, das Mainzer Ballett steuerte ein flamboyantes Männerduo zu Schuberts kitschig verfremdetem „Ave Maria” bei. Es ist unmöglich, alle Beteiligten zu erwähnen. Aber den Clou des Abends wollen wir keinesfalls vergessen: die herrlich überdrehte Buenaventura Braunstein. Nie wurde die karge Künstlerbiografienprosa hinreißender geflötet als an diesem Abend, dessen Erlös der Aufklärungsarbeit der Münchner Aidshilfe zu Gute kam. Denn noch immer infiziert sich an jedem zweiten Tag irgendwo in München ein unvorsichtiger Mensch.

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