Helmut Schleich im AZ-Interview über Dieter Hanitzsch und moralische Trennlinien
AZ: Herr Schleich, wie lange kennen Sie Dieter Hanitzsch persönlich?
HELMUT SCHLEICH: Ich kenne den Dieter, seit wir mit dem "Froschhammer"-Comic über den fiktiven CSU-Abgeordneten in der BR-"Abendschau" zusammen arbeiten. Als Jörg Hube 2009 gestorben ist, habe ich die Sprecherrolle für alle Figuren übernommen. So haben wir uns kennen gelernt und inhaltlich auch gut verstanden.
Haben Sie oft gemeinsam über Politik diskutiert?
Man kann mit ihm ja nicht nur gut über Politik diskutieren, man kann sich bei ihm auch informieren. Gerade in der Wirtschaftspolitik hat er große Kompetenz. Ich habe ihm, wenn es in meinen Kabarettprogrammen um Wirtschaftspolitik ging, häufig um Rat gefragt, er ist – auch wenn dies etwas pathetisch klingt – ein väterlicher Freund geworden. Deswegen bekomme ich auch mit, wie sehr ihm die aktuellen Anfeindungen zusetzen.
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Die Kritik bezieht sich noch immer auf eine Karikatur in der "SZ", die Netanjahu mit einer Rakete in der Hand zeigt, weil er "nächstes Jahr in Jerusalem" den Eurovision Song Contest ausrichten darf. Dieter Hanitzsch wurde gekündigt. Er zeichnet seitdem für die AZ.
Die umstrittene Karikatur ist vom Anspruch und vom Inhalt her eine Kritik an Netanjahu und der Instrumentalisierung des ESC durch die israelische Regierung. Das wurde dann wegen des Zeichenstils als "antisemitisch" angegriffen und Dieter Hanitzsch wurde als Antisemit bezeichnet. Das ist meiner Ansicht nach völlig überzogen. Man hätte doch bei der Sache bleiben können. Die Sandra Kreisler, die Tochter vom Georg Kreisler, hat damals im Mai einen offenen Brief an Dieter Hanitzsch verfasst, der sich mit dem Vorwurf, dass Netanjahu ein Kriegstreiber sei, sehr explizit aus jüdischer Sicht auseinandersetzt: eine sehr lesenswerte und sachliche Kritik an der Karikatur. Auf dieser inhaltlichen Ebene hätte man ja wunderbar weiterdiskutieren können. Stattdessen wurde das ganze auf eine persönliche Ebene gehoben und Dieter Hanitzsch damit meinem Empfinden nach Unrecht getan.

Werden die Debatten immer hysterischer?
Es ist natürlich schon so, dass sich die Gesellschaft stark polarisiert hat. Die frühere Trennlinie zwischen Kapital und Arbeit hat sich ja ziemlich verwischt, heute gibt es eher moralische Trennlinien: Wir sind gut, die anderen sind böse. Das hat ja die Diskussionen insgesamt zugespitzt und verschärft, weil sie immer direkt persönlich werden.
Der Hoferichter-Preis wird wird ja nicht für eine Karikatur an Dieter Hanitzsch vergeben, sondern für ein Jahrzehnte umspannendes Lebenswerk.
Der Vorwurf von Teilen der Jüdischen Gemeinde lautet ja, die Stadt München dürfe ihm diesen Preis nicht verleihen. Da wird es in meinen Augen sehr grotesk. Wenn eine einzelne Karikatur missverständlich interpretierbar ist, dann schmälert das das riesige Lebenswerk von Dieter Hanitzsch nicht wesentlich. Völlig überzogen erscheint es mir, deswegen aus Dieter Hanitzsch einen Antisemiten konstruieren zu wollen. Das ist unhaltbar. Dass die jüdische Gemeinde hochgradig achtsam ist gegen jede Form von Antisemitismus, versteht sich von selbst. Das ist ja auch richtig und wichtig. Aber da, wo keiner ist, danach zu schreien, ist vielleicht nicht gerade dem Kampf gegen den Antisemitismus förderlich.
Merken Sie als Kabarettist, dass die Kritik schärfer wird, wenn Menschen ein Satz von Ihnen nicht passt?
Ich werde derzeit zum Glück nicht bedroht, das ist mir in der Vergangenheit aber auch schon passiert. Meine Kollegin Lizzy Aumeier ist aus der rechten Szene bedroht worden, weil sie sich über Alice Weidel geäußert hat, es gibt aber auch immer mal wieder Kritik aus der muslimischen Ecke.
Werden Sie zahmer, weil Sie gar keinen Lust mehr auf so viel Widerspruch haben?
Ich bin nicht so viel in den sozialen Medien unterwegs und bekomme gar nicht jede Kritik mit. Grundsätzlich aber ist es bei mir so, sonst wäre ich auch kein Kabarettist geworden, dass ich mich bei steifer werdendem Wind, der mir entgegen bläst, nicht biege. Im Gegenteil, das regt meinen Widerstandsgeist erst recht an.
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