Helden - im Biergarten geboren
MÜNCHEN - Zum 50. Mal ermitteln die BR-Tatort-Kommissare Batic und Leitmeyer - eine Hommage von Friedrich Ani, der selbst drei Drehbücher für sie geschrieben hat.
Nachdem sich im Frühjahr 1989 zwei Männer und eine Frau konspirativ in einem Münchner Biergarten getroffen und die wesentlichen Dinge der Zukunft besprochen hatten, fiel im Herbst desselben Jahres die Berliner Mauer. Wahnsinn. Mit einem Schlag waren Millionen Menschen von der Angst befreit, beim heimlichen Fernsehen beobachtet und denunziert zu werden. Von nun an durfte jeder Bürger der ehemaligen DDR so viele Westprogramme schauen, wie in sein nagelneues Gerät passten, am Sonntagabend allerdings nur ein bestimmtes. Die ARD. Oder wie es heute in Bayern und dem Rest des Landes heißt: das Erste.
Tatort um viertel nach acht. Die eigentliche Neuzeit der Bundesrepublik Deutschland begann nicht am 9. November 1989, sondern am 1. Januar 1991. An diesem Abend lief der erste Tatort des Bayerischen Rundfunks mit den bis dahin in eher übersichtlichen Reichweiten bekannten Schauspielern Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl (Nemec spricht man übrigens Nemetz aus, nicht Nemetsch). Und weil das globalisierte Denken nicht nur in Thüringen oder Sachsen-Anhalt einzog, sondern auch in Bayern, hieß die Folge nicht „Tiere“, sondern „Animals“.
Geradezu cineastische Wucht
Das Trio Schröder, Lafontaine, Fischer, das Deutschland politisch irgendwie erneuern wollte, hatte sich mittlerweile gegenseitig ausgeknockt, da boxten sich die drei Kommissare Ivo Batic (Nemec), Franz Leitmayr (Wachtveitl) und Carlo Menzinger (Fitz) mit zunehmender Souveränität, geerdetem Realitätssinn und ehrlichem Charme durch die Verbrecherriege Münchens. Einige Folgen erzielten Quoten, von denen andere Tatorte nur träumen konnten, gelegentlich gelangen den Kommissaren und ihren Regisseuren und Autoren Geschichten von nahezu cineastischer Wucht („Frau Bu lacht", „Im freien Fall“).
Überhaupt die Macher. Die Frau, die im April 1991 die Wende vorbereitete, nachdem die altbewährten Kommissare Gustl Bayrhammer, Helmut Fischer und andere ausgedient hatten, heißt Silvia Koller. Sie war damals Redakteurin in der Fernsehspiel-Abteilung und beauftragt, ein neues Tatort-Konzept zu entwickeln. Listig bestellte sie die nach ausgedehntem Casting in die Endausscheidung gelangten Schauspieler Wachtveitl und Nemec in einen Biergarten, um den Haupt-Kommissar auszuwählen. Was die Mimen nicht wussten, war, dass die Redakteurin zwei Kommissare suchte, nicht nur einen. Sie legten sich also beide ins Zeug - und wurden beide genommen.
Souveräne Leber-Technik
So wird Geschichte geschrieben. Und ich wollte mitschreiben, von Anfang an. Denn der Tatort - und das gilt nicht nur für den aus Bayern, sondern für den aller Sendeanstalten im Ersten - ist so etwas wie die Bundesliga innerhalb des Fernsehspiels, und der BR-Tatort eine Art FC Bayern für Schreiber. Ich darf sagen, ich habe hart trainiert, um in die Mannschaft zu kommen, aber ich muss auch gestehen: Manche Trainingseinheit (vulgo: Drehbuchbesprechung) brachte mich an den Rand meiner Fähigkeiten, und nicht selten rettete mich nur die souveräne Technik meiner Leber, die wie ein magischer Torwart auch die scheinbar Unhaltbaren parierte.
Man muss sich den Münchner Tatort-Autor als einen glücklichen Menschen vorstellen. Ich vermute, dem Zuschauer ergeht es nicht anders, auch nach dem Ausscheiden von Carlo Menzinger, der - typisch München! - eine Erbschaft machte und nach Thailand zog. Bleiben zwei nach fünfzig Folgen in Würde ergraute Kommissare, die noch lange nicht ausgelaugt und amtsmüde wirken.
Aus purer Solidarität bin ich mit ergraut. Das, Freunde in Ost und West, ist wahre bayerische Spezlwirtschaft.
Friedrich Ani