Heiler in San Antonio

„I’ll Never Get Out Of This World Alive” – der Countrymusiker Steve Earl hat einen Roman über den Arzt von Hank Williams geschrieben
von  Christian Jooß

Wie uns die Geschichte überliefert ist, war es am 1. Januar 1953, kurz nach 7 Uhr morgens. Hank Williams hatte eine Silvestershow in Charleston hinter sich und musste zu seinem nächsten Auftritt in Ohio. Die Mischung aus dem Schlafmittel Chloralhydrat und ordentlich Alkohol machte ihm zu schaffen. Der ins Hotel in Knoxville gerufene Dr. P. H. Cardwell half seinem Patienten mit einer Spritzenmischung aus B12 und etwas Morphium durch die nächsten Stunden. Nachdem sie Williams in seinen Cadillac getragen hatten, setzten sie die Fahrt fort. Die letzten Worte des größten Countrysängers seiner Zeit sollen gewesen sein, er habe keinen Hunger. Als der Fahrer des Wagens in den frühen Morgenstunden des 2. Januar an einer Tankstelle in Oak Hill, West Virginia hielt, war Williams tot.

Zehn Jahre später treffen wir Williams Arzt wieder. Im Yellow Rose Guest Home, einer Absteige auf dem South Presa Strip in San Antonio. Gerade schafft er es noch auf die Toilette, dann verlässt er das Haus; um sich seinen morgendlichen Schuss zu besorgen. Ebersole heißt er in Steve Earls Roman „I’ll Never Get Out Of This World Alive” – der Titel zitiert jene unvergänglich unheimliche Songzeile Hank Williams.

Ein Leben zwischen Nutten und einem mexikanischen Dealer

Steve Earl ist selber ein 56-jähriger, countrysingender, linker Aktivist der amerikanischen Gegenkultur. Einer, der als ehemaliger Heroinabhängiger einen kalten Entzug beschreiben kann, dass die Knochen klappern und der San Antonio aus seiner Jugend kennt, als hätte er es auf Lunge geraucht.

Der Mann, den in seinem Roman alle nur als Doc kennen, hat sich eingerichtet in einem Leben zwischen Prostituierte, Verzweifelten und seinem mexikanischen Dealer Manny. Mittlerweile ohne Approbation, ist der Doc der Mann für die unauffälligen Behandlungen: Schusswunden und vor allem illegale Abtreibungen. Die finanzieren ihm den nächsten Schuss. Wenn er high ist, kommt Hank Williams Geist zu Besuch. So geht das, bis es ihm das mexikanische Mädchen Graciela zur Abtreibung in die Wohnung spült. Weil es sich so ergibt, bleibt sie unter seinem Schutz. Und ohne dass es der Doc will, wird sie mehr als seine Assistentin: eine magische Gefährtin, deren Kraft der heilenden Hände der alte schulmedizienernde Kurpfuscher mehr spürt als er wahrhaben will.

Voodoo, Katholizismus, Country und Kennedy

In einer hartgekochten Sprache zieht Steve Earl den Leser durch eine metaphysische Geschichte. Voodoo, Katholizismus, Country und Kennedy – bunte Fäden hängen aus dieser Story, und es ist am Leser, daraus seine persönliche Traumdeutung zu flechten.

Einen Tag bevor er in Dallas erschossen wird, landet President Kennedy mit Jackie in San Antonio. Graciela, der Doc und die Gang sind am Flughafen. Graciela winkt durch den Zaun, bis ihr Handgelenk blutet. Es ist eine Wunde, die nie verheilen wird, und die immer dann, wenn sich Graciela um Mitmenschen kümmert, frischrot zu bluten beginnt.

Im Grundrauschen dieses Romans hört man ein Amerika an der Kippe. Ein altes, verblassendes Raunen der Mythen und des von Earl nicht gewerteten Rassismus, das den Geist von Hank gegen die heilende, fast kitschig gute Konkurrenz Gracielas in Rage bringt. Man sieht das gnadenlos intrigante Gesicht einer neuen Zeit, die stur auf die Vietnamkatastrophe zusteuert. Will man Earls Buch mit einem Country-Song vergleichen, dann ist es das urteilsfreie Wissen um die abgründige Liebe der Menschen, die diesem Roman die geheimnisvolle Kraft der Güte verleiht.

Steve Earl: „I’ll Never Get Out Of This World Alive” (Blessing Verlag, 384 S., 19.95 Euro)

Franz Dobler stellt am 26. Juli 2011 um 20 Uhr im Vereinsheim (Occamstraße 8) den Roman vor, Eintritt: 10 Euro

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