Harald Schmidt im Interview: "Ich hatte es bis zur Genüge"

In der neuen Amazon-Show "One Mic Stand" bereitet er mit Michael Mittermeier, Hazel Brugger und anderen "Auszubildende" auf einen großen Bühnenauftritt vor, der am Ende jeder Episode der fünfteiligen Reihe auch gezeigt wird. Harald Schmidt hat sich zunächst um Mats Hummels und später um Christoph Kramer zu kümmern.
AZ: Lange nichts gehört von Ihnen, Herr Schmidt. Wie geht es Ihnen?
HARALD SCHMIDT: Sensationell. Ich gehe auf die 65 zu. Ein Traumalter. Hätte ich gewusst, wie toll es ist, wäre ich schon früher 65 geworden. Kann ich nur empfehlen!
Kommt Rente vom Staat?
Ja, wenngleich überschaubar. Aber ich habe, wie wir Arbeitnehmer sagen, die 15 Jahre vollgemacht. Es wird sicher was reinregnen, ich vertraue da sehr auf die Ampel.
Harald Schmidt: "Mir fehlt jedes pädagogisches Talent"
Und gesundheitlich? Keine Gebrechen?
Nein, toi, toi, toi. Was natürlich nicht heißt, dass ich morgen rausgehe und umfallen könnte. Aber da ich nie Sport getrieben habe, habe ich keine kaputten Gelenke. Anderthalb Stunden nach dem Aufstehen bin ich jedenfalls topfit. Diese Zeit brauche ich aber dann schon.
Was hat Sie überzeugt, bei "One Mic Stand" mitzumachen?
Die Kombination Mats Hummels und Christoph Kramer. Weil ich natürlich ein Fan von Weltklassespielern bin und mal hören wollte, was sie hinter den Kulissen erzählen - vom Training, von der Mannschaft, vom Konkurrenzdruck. Das hat mich interessiert.
Haben Sie ein Lehrer-Gen in sich?
Mir fehlt jedes pädagogische Talent. Aber ich habe ein echtes Coach-Gen in mir. Extrem gesagt: Ich krieg die letzte Pfeife hochgequatscht. Ich merkte das schon, als ich im Zivildienst Jugendfreizeiten leitete. Da arrangierte ich mit den Kindern kleine Theateraufführungen.
Mit diesen Fähigkeiten hätten Sie mal Intendant werden sollen.
Um Gottes willen, nein. Was glauben Sie, was Sie sich da anhören müssen, wem Sie da alles schöntun müssen. Wo sie überall ausgleichen müssen. Das wäre nicht mal ansatzweise was für mich gewesen.
Sie tragen wieder Bart, wie damals vor knapp 20 Jahren, als der Spiegel in Ihnen eine Mischung aus "Käptn Blaubär und Elmar Gunsch" erkannte.
Kürzlich sagte jemand zu mir, es gehe jetzt Richtung Hemingway. Gefiel mir natürlich gut. Wobei ich im Gespräch den Hinweis auf sein Ende weggelassen habe.
Aber das Leben bis dahin könnten Sie doch jetzt führen.
Absolut. Könnte ich. Getreu dem alten Dean-Martin-Motto: "Begrabt mich an der Theke".
Harald Schmidt: "Ich befinde mich nicht mehr in diesem Hamsterrad"
Sind Sie ein Lebemann?
Nein. Dazu bin ich zu bequem. Ein richtiger Lebemann bringt seine ganze Energie in dieses Dasein ein. Da müssen Sie Rosen aus dem Hubschrauber werfen oder exquisite Essen organisieren. Ich bin eher der Typ: "Da ist ne Tanke, lass uns frühstücken."
Wie gestaltet sich derzeit Ihr Alltag? Sie haben ja nichts zu tun, oder?
Das stimmt nicht! Ich muss Text lernen. Im Herbst spiele ich Operette in Wien. Und ans Theater nach Stuttgart kehre ich auch zurück. Sie sehen, ich habe mehr als genug zu tun. Ich befinde mich eben nur nicht mehr in diesem Hamsterrad.
Fehlt Ihnen das Fernsehen?
Nein. Ich hatte es bis zur Genüge. Es war eine fantastische Zeit, der ich ja auch meinen ganzen Lebensstandard verdanke. Aber jetzt soll mal der Nachwuchs ran.
Aber es fehlt doch jemand, der einen allabendlich glücklich und zufrieden ins Bett bringt. Warum gibt es keine guten Late-Night-Shows mehr?
Es gab damals noch kein Internet. Wenn heute etwas Boulevardtaugliches passiert, sehe ich im Netz nach einer halben Stunde so viele sensationelle Clips und Beiträge dazu. Da gibt es keinen Grund, bis um 23.15 Uhr zu warten.
Harald Schmidt: "Die Anonymität ist das Kostbarste überhaupt"
In den USA läuft Ähnliches immer noch gut.
Es gibt dort natürlich eine andere Tradition, das Publikum ist damit groß geworden. Dazu gibt es die Metropolen Los Angeles und New York und vor allem die englischsprachige Welt mit vielen potenziellen Gästen. Letzten Endes sind die Möglichkeiten dazu in Deutschland zu begrenzt.
Sie sind nun eine Weile raus. Können Sie in ein Café gehen und dort Ihre Ruhe haben?
Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie großartig es ist, unerkannt zu sein. Zu meiner Zeit damals gab es ja noch kein Handy, aber die Leute gingen auf Mallorca rückwärts mit der Videokamera vor mir her. Wenn ich mir das heute vorstelle, mit den Handys, das wäre für mich der blanke Wahnsinn. Die Anonymität ist das Kostbarste überhaupt.
Um so erstaunlicher, dass Sie heute dann doch für so ein Format wieder dabei sind und sogar Interviews dazu geben.
Ich gebe ja wahnsinnig gerne Interviews. Produzenten habe ich schon vorgeschlagen, mich mit einer Perücke Interviews zu einer neuen Serie geben zu lassen, in der ich aber gar nicht mitspiele.
Harald Schmidt: "Ich schaue mir an, was vor der Bezahlschranke kommt"
Es kommt bei Ihnen im Gespräch eben verlässlich was Heiteres und was Intelligentes.
Ach, das weiß ich nicht. Ich rede einfach ohne Rücksicht auf Verluste. Und das ist ja in diesen Zeiten schon mal ziemlich viel. Weil die meisten eben ziemlich abgesichert sprechen. Oder sie hauen einen Satz raus, kriegen dafür eins auf die Mütze, entschuldigen sich und müssen gleich zu "ein Herz für Kinder", um Abbitte zu leisten. Viele nutzen solche Interviews auch, um zu zeigen, dass sie "eigentlich ganz anders" sind. Einer, der sein Leben lang in den Pudding gesprungen ist und damit reich geworden ist, möchte deutlich machen, dass er ein nachdenklicher Mensch ist, der sich Gedanken über unseren Planeten macht.
Sind Sie viel im Netz und in sozialen Medien unterwegs?
Nein. Ich nehme das Bisschen, das ich quasi für lau im Netz kriege. Wobei ich ja mit meinen Daten bezahle. Ich schaue mir an, was vor der Bezahlschranke kommt. Beim Rest sehe ich die Überschrift und kann mir die Artikel denken.
Und wie gehen Sie mit Ihren Kindern um? Müssten Sie sich nicht als verantwortlicher Erziehungsberechtigter mit diesen neuen Medien auskennen?
Nein, da klingt dann schnell wie "Opa erzählt vom Krieg". Die Kinder müssen ihren Weg selbst finden. Ich kann nur Leitplanken bieten und zum Beispiel darauf hinweisen, dass das Internet nichts vergisst. Und nichts heißt hier: Nichts! Überlegt also genau, was Ihr macht.
Das klingt schon nach dem Klischee des 65-jährigen Technikverweigerers...
Ich bin wieder auf dem besten Wege, mir Briefe schreiben zu lassen. Ich sehe doch diese ganzen Menschen mit dem Telefon am Ohr. Und ich sage Ihnen: Das sicherste Zeichen, dass sie ein Loser sind, ist, wenn sie noch beim Einsteigen in ein Flugzeug telefonieren. Dann ist klar: Sie sind maximal im Mittelfeld, wenn sie sich noch zulabern lassen müssen, während sie ins Flugzeug einsteigen.
Ist Stand-up-Comedy heute anders als früher?
Das Prinzip ist schon noch das gleiche. Im Grunde kommt jemand raus und schildert, dass er mit der Welt auch nicht mehr zurechtkommt. Oder er versucht eben, irgendwie mitzuhalten. Wobei: Es geht in der Branche auch einfacher: Mancher, der am Anfang einfach zehn Minuten lang schreit: "Isch lieb Euch alle", hat 10.000 Leute in der Halle.
Harald Schmidt: "Heute würde meine Sendung nach einer Woche abgesetzt werden"
Bei "Sketchup" gab es den Sketch, bei dem die Frau aus dem Fenster schaut und sagt: "Der Morgen graut". Und ihr Mann korrigiert sie: "Dem Morgen, dem Morgen..."
Das ist Shakespeare-Niveau. Aber mit so was erleiden Sie heute natürlich Schiffbruch. Der Erste, der Ihnen das rausstreicht, ist der zuständige öffentlich-rechtliche Redakteur. Entweder mit dem Satz: "Wir wollen unser Publikum nicht bevormunden". Oder mit dem Satz: "Meine Mutter versteht das nicht". Wobei ich mir in so einem Fall schon rausnehmen würde, zu antworten: "Deine Mutter ist wahrscheinlich einfach zu blöd."
In Fragen von Haltung und der vielzitierten politischen Korrektheit gelten aber dann doch andere Regeln als früher...
Heute würde meine Sendung nach einer Woche abgesetzt werden. Jedes Jahr eröffnete ich am Weltfrauentag die Show mit den Worten: "Guten Abend, meine Damen und Herren. Meine Herren, denken Sie daran: Heute ist Weltfrauentag. Stellen Sie Ihrer Gattin eine Rose ins Putzwasser." Wäre heute unmöglich. Der Intendant würde sofort darauf verweisen müssen, dass er selbst daheim putzt.
Dennoch wurde Ihnen schon damals viel verziehen. Weil eben bis heute bei Ihnen, auch in jedem Interview, eine doppelte Ebene mitkommt: Was meint er ernst, was nicht? Wenn wir jetzt das Gespräch beenden, ist diese Ebene dann verschwunden?
Nein. Ich sehe den Alltag eben genau so. Und auch das Fernsehen: Meine Lieblingssendung ist die ZDF-Reportagereihe "37 Grad". Da kann ich richtig lachen. Andere sehen da unglaubliche Schicksale. Ich sage: Da kapieren Menschen nicht, dass sie im Fernsehen vorgeführt werden.
Das Meiste haben Sie ja jetzt überstanden. Sie können nur noch Dinge tun, die Ihnen Spaß machen.
Absolut. Ich fahre jetzt ins Zillertal. Soll ich dort jemanden von Ihnen grüßen?
Nein. Ich weiß nichts vom Zillertal.
Ich auch nicht. Also fahre ich mal hin...