Hans Söllner erfindet sich auf "mei Zuastand" neu

Dylan hören, Gras rauchen, Benzin klauen und von schießenden Polizisten verfolgt werden – der ewige Rebell Hans Söllner erinnert sich in „mei Zuastand” an seine turbulente Karriere
Christian Jooß |
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Geronimo – das Indianergesicht, das uns auf dem Plattencover entgegenblickt, ist Hans Söllner. Stefan Sappert hat ihn mit dem ab Mitte des 19. Jahrhunderts verwendeten Verfahren der Ambrotypie abgelichtet. Der Kopf scheint felsalt aus dem schwarzen Hintergrund heraus, in den halb geschlossenen Augen zwei Funken. „mei Zuastand” heißt dieses heute erscheinende Album zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Söllner erinnert sich – an Songs seiner Karriere, die Marken setzten auf dem Weg zu dem Gesicht, das er heute ist. Weiter von einem harmlosen Best-off kann man nicht entfernt sein.

Eine Bläserfanfare zum muskulös groovenden Drumbeat: „Hey wos is, wos host gsogt zu mir?”, nimmt die Kämpferstimme die Fäuste hoch und lädt ein, auf das braune Pack zu scheißen. Showdown. Auffällig anders ist dieser Sound. Allein im Studio hat Söllner die Aufnahmen eingespielt, dann wurde seine Gitarre zurückgemischt. Das Bayamann’ Sissdem um den Multiinstrumentalisten Peter Pichler zog die Lieder neu auf und gab ihnen einen elektrifizierten Folk-Groove, der in „Für meine Buam” mit Fiddle auch deutlich in die Country-Richtung ausschlagen kann. Die Aufnahmetechnik offenbart eine beeindruckende rhythmische Präzision Söllners.

Eine Tuba marschiert, unwohl dissonant spitzen Trompeten dagegen: „Du dramst”. Die „schöne alte Zeit”, aus ihr tritt der Saufabend im Schwabenbräu. Einen Schwulen hat man in der Bahnhofshalle in Reichenhall zusammengeschlagen, hat einträchtig auf die Straße gekotzt – schön war's. Dylan, Zeppelinfeld, Gras rauchen, Benzin klauen und von schießenden Polizisten verfolgt werden, bevor der Vater die „Schlampen”, mit der man heimkommt, aus dem Haus schmeißt – schön war's. Nostalgie ist für diesen Sänger eine ekelhafte Lüge, die nur funktioniert, wenn man die Augen zu Schlitzen zusammenpresst.

Durch die Zurücknahme seiner beständig stützenden Gitarre bekommt Hans Söllners Stimme eine unheimliche Präsenz, einen Körper, der noch einmal durch die vergangenen Erlebnisse gebeutelt wird. Mit einem Mal ist da eine Brüchigkeit, die man vorher so nicht wahrgenommen hat.

„Im Herbst (Kai)” – ein Akkordeon atmet in den Text. Der Sänger wünscht sich, einmal im Herbst zu sterben. Nicht im Sommer – da will er braun sein, und am Thumsee sitzen. Auf einen Open Air sein, selbst wenn da der Schmidtbauer spielt. Im Herbst, da bleibt das „Radl in da Garage” und keiner muss mit kurzen Hosen zur Beerdigung kommen.

Hans Söllner richtet sich im Studio nicht über Wochen ein. Wer diese Stimme neu wahrnimmt, weiß warum. Seine Art, eine Platte einzuspielen, ist ein Kraftakt, der über ein Live-Konzert hinausgehen muss, weil er ohne die Reaktionen des Publikums der Existenz seiner Lieder ausgeliefert ist. Ein zentraler Moment des Künstlers Söllner ist die Unmöglichkeit, beiseitezublicken. „I schrei” – man kann ohne Gefahr für die eigene Psyche über unseren Umgang mit der Schöpfung diskutieren.

Söllner sieht das Tier spielen. Dann erscheint das missbrauchte Vieh, dem man barbarisch den Balg vom Körper gerissen hat. Der Text blickt einen Augenblick zu lange auf die geschundene Kreatur, als dass es möglich wäre, eine Brandmauer der Ironie hochzuziehen. Eine so elementare Wucht steckt in diesem Lied, dass der, der sie nicht erträgt, nur mit dem Eingeständnis der eigenen Ignoranzfeigheit den Song überspringen kann.

Wie einfach aber wäre es, einen unfehlbaren Künstler zu haben, der uns das Leben moralisch erleichtert. „mei Zuastand” ist eine Platte über die Angst: vor der Einsamkeit in „Blumen und Farben”, der Zukunft in „Für meine Buam”, den Schatten der Vergangenheit. Die Wut ist ein Versuch, mit einem Leben umzugehen, das uns langsam auffrisst. Keine Rettung.

Hans Söllner: „mei Zuastand” (Trikont);
an Heiligabend tritt Hans Söllner in der Muffathalle auf

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