Kritik

Hannah Herzsprung in "15 Jahre"

Regisseur Chris Kraus beschäftigt sich nach senem Drama "Vier Minuten" in der Fortsetzung mit Verhärmung und Vergebung
von  Margret Köhler
Hannah Herzsprung als Jenny und Hassan Akkouch, den sie zur TV-Show mitbringt.
Hannah Herzsprung als Jenny und Hassan Akkouch, den sie zur TV-Show mitbringt. © Dor Film / Wild Bunch Germany

Als Jenny von Loeben begeisterte Hannah Herzsprung 2007 im Gefängnisdrama "Vier Minuten" - das große Sprungbrett für ihre Karriere. Jetzt liefert Chris Kraus quasi eine Fortsetzung.

Nach 15 Jahren kommt das einstige musikalische Wunderkind und erwachsene Klaviervirtuosin aus dem Knast, wo sie wegen eines Mordes, den sie nicht begangen hat, einsaß. Jetzt muss sie sich im Leben draussen zurechtfinden, sucht Halt im christlichen Glauben und jobt als Reinigungsfrau im Konservatorium, wo sie einst gefeiert wurde.

Kampf mit den eigenen Dämonen im zerwühlten Gesicht

Durch einen Zufall kann sie ihr musikalisches Talent wieder ausspielen, was sie nicht hindert, von Rache an ihrem Ex-Geliebten zu träumen, für den sie das Martyrium ausgehalten hat. Der Kerl (Albrecht Schuch) ist inzwischen unter dem Künstlernamen Gimmiemore berühmt als Moderator einer TV-Castingshow für Menschen mit geistigen und körperlichen Defiziten. Jenny verfolgt einen perfiden Plan, wird sich dort präsentieren mit einem syrischen Geflüchteten und genialem Sänger (Hassan Akkouch aus "Four Blocks), der einen Arm im Krieg verloren hat.

In dem wuchtigen Werk großer Gefühle überzeugt Herzsprung erneut in einer Tour de Force als feinsinnige, gleichzeitig aggressive und rebellische Pianistin beim Kampf mit den eigenen Dämonen, spielt sich die zerbrochene Seele aus dem Leib und zeigt keine Angst vor äußerlicher Hässlichkeit. Ihr Gesicht ist eine zerwühlte Landschaft des Leids, in dem sich Verzweiflung, Resignation und Wut eingegraben haben. Nächste Woche erhält sie für diese schauspielerische Leistung den Bayerischen Filmpreis als "Beste Hauptdarstellerin".

Ohne unbedingt "Vier Minuten" zu kennen, kann man das Drama verstehen, bei dem erneut die Komponistin Annette Focks für den brillanten Soundtrack sorgt. Die Geschichte ist in sich geschlossen, auch wenn Kraus zu viel will und sich manchmal in überflüssigen Nebensträngen versucht, die den präzisen Fluss der Handlung stören.

"Vergebung bedeutet, jede Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit loszulassen"

Trefflich gelungen sind die Szenen der TV-Show, die ein niederträchtiges Imperium von schamloser Verlogenheit und bösem Zynismus hinter den Kulissen entlarven, während vor der Kamera Mitleid geheuchelt und den Zuschauern eine Melange falscher Emotionen mit Krokodilstränen geboten wird.

Am Anfang des Filmes steht das Zitat des buddhistischen Lehrers Jack Kornfield: "Vergebung bedeutet, jede Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit loszulassen".

Doch was tun, wenn Verlust und Verrat, Enttäuschung und Entmutigung inneren Frieden und Vergebung verhindern? Loslassen braucht Zeit, das erkennt diese in sich zerrissene Frau erst spät, aber nicht zu spät. Und vielleicht gibt es doch eine letzte und neue Chance auf ein versöhnteres Leben.

Kino: Leopold, Rio
R: Chris Kraus (D, 143 Min.)

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