Halbseidene Gestalten in einem ganz normalen Gewerbe

"Titanic"-Autor Thomas Fuchs schildert in seinem amüsanten Roman „Grenzverkehr“ eine Rotlicht-Karriere. Erzählt wird die Geschichte der Slowakin Milena, die ihr vermeintliches Glück in Amsterdam sucht.
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"Titanic"-Autor Thomas Fuchs schildert in seinem amüsanten Roman „Grenzverkehr“ eine Rotlicht-Karriere. Erzählt wird die Geschichte der Slowakin Milena, die ihr vermeintliches Glück in Amsterdam sucht.

Ein lustiger Roman aus der Prostituiertenszene. Das klingt ungefähr so wohlüberlegt und geschmackvoll wie ein Schmachtfetzen aus dem Schlachthaus. Und sicher wäre Alice Schwarzer mit „Grenzverkehr“ nicht einverstanden, denn Thomas Fuchs' Roman ist tatsächlich amüsant geraten – wenn man sich auf die Denkweise einzulassen vermag, Prostitution sei ein ganz normaler Job, nur mit besonders ekelhaften Kollegen.

Das Debüt des Journalisten und „Titanic“-Mitarbeiters erscheint heute bei Heyne und erzählt die Geschichte der Slowakin Milena, die einen italienischen Pass findet und ihr vermeintliches Glück in Amsterdam sucht.

Der Klappentext ist nicht ganz ernst zu nehmen – denn von einer Misswahl, die Milena gewinnt, und einem daraus resultierenden Fotoshooting für eine Wäschespinne ist im Buch nichts zu finden. Ihr Leidensdruck in der Heimat baut sich vielmehr durch eine versoffene Mutter und einen grässlichen Chef im örtlichen Supermarkt auf. In den Niederlanden gelingt ihr bei einem Escort-Service der langsame Aufstieg zum Edel-Callgirl - was den Job weniger zeitintensiv, aber auch nicht glamouröser macht. Der amüsante Teil des Romans hat mit dem Rotlichtmilieu tatsächlich verhältnismäßig wenig zu tun.

Es sind andere Momente, die der Geschichte Humor verleihen. Wenn ein amerikanischer Sägemühlenmillionär in Melinas gottverlassenes Kaff Nehlavné Mesto kommt, weil dort seine Vorfahren herkommen, und noch während der vollmundigen Ankündigungen von Investitionen vor den Einwohnern unterbrochen wird – von seinem Assistenten, der gerade herausgefunden hat, dass die Vorfahren eigentlich aus Slowenien stammen und dieses Land ohnehin sehr viel geeigneter ist. Abreise des Investors, Enttäuschung in Nehlavné Mesto, wo man es allerdings schon gewohnt ist, dass nicht nur der Kommunismus schief geht.

In Amsterdam lernt Milena viel über das Leben und die Männer, doch dankenswerterweise lässt der Autor den Leser nicht an allem teilhaben. Sexszenen werden gerne mal in einem eigenen Kapitel abgefasst, das aus der Überschrift „Kein Kommentar“ besteht. Spannend ist ihr Leben dort allemal, gut aufgeschrieben ebenfalls – abgesehen von gelegentlichen chaotischen Sätzen: „Zuzana glaubte, ein bisschen so auszusehen wie Monica. Milena, die Zuzana eher an ein zu blasses und zu schmales Schneewittchen erinnerte. Wenn Milena es gelang, die Gaumenspalte zu ignorieren, die das Gesicht der Jüngeren von Geburt an entstellte.“ Erst etliche Seiten später lässt eine Äußerung vermuten, dass Milena es ist, die der „Friends“-Figur Monica ähneln soll. Damit ist die Unklarheit perfekt. Besser als diese Sätze hat Fuchs die Geschichte konstruiert. Die Lebenswege von Milena und einigen halbseidenen Gestalten kreuzen sich immer wieder; es kommt zu interessanten Überschneidungen auf Nebenschauplätzen. Das ist nicht immer vergnüglich, aber jederzeit spannend.

Julia Bähr

Thomas Fuchs: „Grenzverkehr“, Heyne Verlag, 304 Seiten, 8.95 Euro

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