Hagen Rether: Ein Mann mit Haltung

Kabarettist Hagen Rether gab sich im Prinzregententheater die Ehre. Der Mann verkörpert etwas, das selten ist: Eine Haltung
von  Abendzeitung

Kabarettist Hagen Rether gab sich im Prinzregententheater die Ehre. Der Mann verkörpert etwas, das selten ist: Eine Haltung

Ein Bürostuhl und ein Steinway&Sons Flügel schmückten am 1. Oktober die Bühne des Prinzregententheaters. Hagen Rether in hellem Anzug setzt sich lässig an sein Instrument. Dann fragt er, leise, ob das Publikum es auch höre – diese Stille. „Die Stille nach der Wahl, großartig“, meint er, „diese Phase, diese zwei Wochen, da scheint alles möglich. Wie bei der Papstwahl. Und dann steigt doch wieder Rauch auf.“

Seit 2003 heißt Rethers Programm schon „Liebe“, das er immer variiert. Nun war die erste von vier fantastischen Stunden der aktuellen Wahl gewidmet. Polit-Kabarett auf höchsten Niveau, intelligent, witzig, tiefgründig und – egal wie charmant er dabei lächelt oder seinen Flügel mit Glasreiniger putzt – bitterböse! Die FDP ist die Bauchrednerpuppe der Konzerne, die SPD ein Tranquilizer, der noch immer nicht ganz wirke, Schäuble ein reaktionärer Paranoiker mit Sicherheitswahn, der Bin Laden als Antichristen funktionalisiert.

Rether ist einer, der sich nichts verbietet, der dort nachbohrt, wo andere sich abwenden, so dass seine Texte manchmal schmerzen. Wenn er etwa Grönemeyers Männer-Song umdichtet: „Frauen, außen weich und innen ganz hart, schon als Kind auf Opfer geeicht.“ Nein, ein Zyniker ist er nicht, die Gesellschaft ist zynisch. Das erklärt Rether anhand Fakten, die jeden treffen, der nicht Vegetarier ist. Auch Religion kommt grundsätzlich nicht gut davon, sie sei „ein feuchter Männertraum“, der Dalai Lama „der Peter Lustig für enttäuschte Christen“ und die Botschaft des Papamobils sehr fragwürdig. „Ist das nicht ein Offenbarungseid einer Religion, wenn der Vati im Tresor sitzt?“

Doch er ist stets in der Lage, ein Lächeln entstehen zu lassen, nicht eines, das auf den Lippen zerbricht, sondern eines, das Hoffnung weckt. Denn bei allem intellektuellen Weltschmerz, bei aller Frustration angesichts des salonfähigen Zynismus in unserer Gesellschaft, ist er ein unverbesserlicher Optimist, so scheint es, der glaubt, es könne besser werden, wenn nur jeder einmal nachdenkt. Dafür ist er hier, den Anstoß zu geben.

Gegen halb elf gibt es eine ausschließlich musikalische Einlage. Rether brilliert mal in lässiger Glenn-Gould-Haltung, mal weit zurückgelehnt in seinem Bürostuhl improvisierend – von Beethoven über jazzige Klänge zu „Schlaf Kindlein, schlaf“. Doch ist er da noch lange nicht fertig. Fein säuberlich zerlegt er die Verlogenheit der „Turbokapitalisten von nebenan“, Jauch und Kerner, ihre Betroffenheitsszenarien und ihre fragwürdigen Werbekampagnen.

Hagen Rether verkörpert etwas, das selten ist: Eine Haltung. Er weicht nie aus, sondern bezieht Stellung, auch wenn die unbequem ist. Gegen Mitternacht gab’s dafür Standing Ovation und Rether, der große Schlanke mit dem Pferdeschwanz, verließ still und bescheiden die Bühne. Am 11. Januar 2010 ist er wieder in München, dann im Deutschen Theater.

Tina Schlegel

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