Gut gemeint, leider misslungen: Das Kanzler-Casting im ZDF

Nach über zwei sehr lange weilenden Stunden Kanzler-Casting im Freitagabend ist klar: Der siegreiche 18-jährige Schüler Jacob Schrot aus Brandenburg kann vielleicht mal irgendwann wirklich Kanzler, aber das ZDF kann leider kein Live-Casting.
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Nach über zwei sehr lange weilenden Stunden Kanzler-Casting im Freitagabend ist klar: Der siegreiche 18-jährige Schüler Jacob Schrot aus Brandenburg kann vielleicht mal irgendwann wirklich Kanzler, aber das ZDF kann leider kein Live-Casting.

Niemand muss die sechs jungen Leute, die sich vor den ZDF-Zuschauern als politisch denkende Menschen outeten, wahnsinnig sympathisch finden. Und gewiss klang vieles von dem, was sie vortrugen, bereits nach den sattsam bekannten, auswendig gelernten Stanzen der Berufspolitiker („Wir müssen in Bildung investieren, nicht in Beton.“) Trotzdem war es wohltuend, einmal junge Menschen im Fernsehen zu sehen, die nicht Top-Model oder Tralala-Superstar werden wollen, sondern sich ernsthaft Gedanken über die Zukunft unseres Gemeinwesens machen.

Dass prompt reale Politfunktionäre bis hin zur Grünen-Chefin die Kandidaten auf Twitter und Facebook mit Häme überschütteten (Claudia Roth: „Kanzler-Casting im ZDF unterirdisch. Spiel mer mal a bissel Karrierist, au weia“), stellt der Nachwuchsarbeit unserer politischen Klasse kein gutes Zeugnis aus.

Knuddel-Opa und Comedy-Tante

Richtig ärgerlich war die Inszenierung des ZDF. Zuvorderst die handzahme Jury: Alterspräsident Henning Scherf gab den grinsenden Knuddel-Opa, Comedy-Tante Anke Engelke stieß anbiedernd-juvenile Schreie aus und schien ansonsten merkwürdig neben sich zu stehen. Nur Günter Jauch gefiel sich kurz in der Rolle des Dieter Bohlen und verhöhnte den 18-jährigen Münchner Delano Osterbrauck als „gravitätischen beamteten Staatssekretär“, woraufhin ihn das Studiopublikum prompt mit Schmackes rauswählte. Schlimm auch, wie fahrig Moderator Steffen Seibert durch das Studio irrte, sich von einem Patzer zum anderen hangelte und die Kandidaten permanent schräg anduzte.

Am unterirdischsten aber war, dass die politischen Statements der jungen Leute auf wenige Sekunden begrenzt waren und von einem esoterischen Klangteppich erstickt wurden. Leider waren auch viele Fragen an die Kandidaten verschenkt: Ob Horst Seehofer sein Privatleben öffentlich machen soll, wer protokollarisch der zweite Mann im Staat ist und wie viel Prozent der Deutschen eine Deutschlandfahne besitzen, ist möglicherweise unterhaltsamer Stoff. Aber eben auch unpolitisch.

Unpolitische Unterhaltung

Schade: Das ZDF hat viel Mut bewiesen, diesen Anti-Quotenbringer ins Programm zu heben. Doch der Sender hat die Chance leichtfertig versemmelt, damit auch etwas gegen die bequeme Politikverdrossenheit im Lande zu tun.

Markus Jox

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