Großer Kindergeburtstag

Bunt und ohne klare Kante: Der Doppelabend mit Ravels „L’Enfant et les Sortileges” und Zemlinskys „Zwerg” im Nationaltheater, inszeniert von Grzegorz Jarzyna und dirigiert von Kent Nagano
Volker Boser |
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Das Kind (Tara Erraught) möchte keine Schularbeiten machen, sondern lieber unartig sein.
Wilfried Hösl 16 Das Kind (Tara Erraught) möchte keine Schularbeiten machen, sondern lieber unartig sein.
Als seine Mutter es bestraft, schlägt das Kind die Gegenstände in seinem Zimmer kaputt.
Wilfried Hösl 16 Als seine Mutter es bestraft, schlägt das Kind die Gegenstände in seinem Zimmer kaputt.
Doch die Gegenstände und Tiere nehmen plötzlich menschliche Züge an: Der Sessel und die Bergere wollen dem Kind zukünftig keinen Platz mehr anbieten.
Wilfried Hösl 16 Doch die Gegenstände und Tiere nehmen plötzlich menschliche Züge an: Der Sessel und die Bergere wollen dem Kind zukünftig keinen Platz mehr anbieten.
Die Standuhr kann nicht mehr aufhören zu läuten und normal die Stunden zählen.
Wilfried Hösl 16 Die Standuhr kann nicht mehr aufhören zu läuten und normal die Stunden zählen.
Die Wedgwood-Teekanne und die chinesische Tasse streiten sich und gehen aufeinander los.
Wilfried Hösl 16 Die Wedgwood-Teekanne und die chinesische Tasse streiten sich und gehen aufeinander los.
Aus den zerrissenen Seiten des Märchenbuchs steigt die Prinzessin auf, in der das Kind im Traum seine erste Liebe erkannt hat.
Wilfried Hösl 16 Aus den zerrissenen Seiten des Märchenbuchs steigt die Prinzessin auf, in der das Kind im Traum seine erste Liebe erkannt hat.
Ein altes Männchen und wild durcheinander gewürfelte Zahlen erscheinen, die dem Kind Satzfetzen von Rechenaufgaben aus dem Mathematikbuch an den Kopf werfen.
Wilfried Hösl 16 Ein altes Männchen und wild durcheinander gewürfelte Zahlen erscheinen, die dem Kind Satzfetzen von Rechenaufgaben aus dem Mathematikbuch an den Kopf werfen.
Das Eichhörnchen wirft dem Kind vor, es nur wegen seiner schönen Augen in den Käfig gesperrt zu haben, und warnt den Laubfrosch vor einem ähnlichen Schicksal. Als das Kind jedoch Mitleid zeigt, sind die Tiere gerührt und rufen gemeinsam nach dessen Mutter.
Wilfried Hösl 16 Das Eichhörnchen wirft dem Kind vor, es nur wegen seiner schönen Augen in den Käfig gesperrt zu haben, und warnt den Laubfrosch vor einem ähnlichen Schicksal. Als das Kind jedoch Mitleid zeigt, sind die Tiere gerührt und rufen gemeinsam nach dessen Mutter.
Der Komponist Alexander von Zemlinsky (Wien 1871 - New York 1942) komponierte Anfang der 1920er Jahre die Oper "Der Zwerg".
16 Der Komponist Alexander von Zemlinsky (Wien 1871 - New York 1942) komponierte Anfang der 1920er Jahre die Oper "Der Zwerg".
Der Haushofmeister Don Estoban (Paul Gay) steckt in den Vorbereitungen zu einem großen Fests...
Wilfried Hösl 16 Der Haushofmeister Don Estoban (Paul Gay) steckt in den Vorbereitungen zu einem großen Fests...
...zu Ehren des 18. Geburtstags der schönen spanischen Infantin Donna Clara (Camilla Tilling).
Wilfried Hösl 16 ...zu Ehren des 18. Geburtstags der schönen spanischen Infantin Donna Clara (Camilla Tilling).
Schließlich erblickt sich der Zwerg im Spiegel und erkennt seine Hässlichkeit.
Wilfried Hösl 16 Schließlich erblickt sich der Zwerg im Spiegel und erkennt seine Hässlichkeit.
Während der Zeremonie tritt der Zwerg auf. Dieser jedoch weiß nichts von seiner Hässlichkeit – er wähnt sich als schönen Ritter.
Wilfried Hösl 16 Während der Zeremonie tritt der Zwerg auf. Dieser jedoch weiß nichts von seiner Hässlichkeit – er wähnt sich als schönen Ritter.
Neben vielen prachtvollen Geschenken, so erzählt Don Estoban den Zofen, soll der Höhepunkt des Fests ein hässlicher Zwerg sein.
Wilfried Hösl 16 Neben vielen prachtvollen Geschenken, so erzählt Don Estoban den Zofen, soll der Höhepunkt des Fests ein hässlicher Zwerg sein.
Allein mit der Infantin gesteht er ihr seine Liebe, die sie scheinbar erwidert.
Wilfried Hösl 16 Allein mit der Infantin gesteht er ihr seine Liebe, die sie scheinbar erwidert.
Als die Infantin wiederkommt, bezeichnet sie ihn als lachhaftes Ding und geht schließlich zurück zum Tanz. Der Zwerg stirbt.
Wilfried Hösl 16 Als die Infantin wiederkommt, bezeichnet sie ihn als lachhaftes Ding und geht schließlich zurück zum Tanz. Der Zwerg stirbt.

Eine Teekanne tanzt Ragtime, Frösche singen ein Madrigal, das nach Monteverdi klingt – nichts scheint zusammen zu passen. Doch das Chaos hat Methode. Den „Geist der amerikanischen Operette” wollte der Komponist beschwören und ließ sich dazu eine charmante Nummern-Revue unterschiedlichster Musikstile einfallen. Sie adelt den erhobenen Zeigefinger des Inhalts. Musikalisch hat Ravels 1925 uraufgeführter Einakter „L’Enfant et les Sortilèges” nach einer Dichtung von Colette nichts von seinem Zauber eingebüßt – auch wenn ein Spitzenplatz im Repertoire nach wie vor in weiter Ferne scheint.

Was auch an der Handlung liegen mag: Ein unartiges Kind, das keine Hausarbeiten machen will, Geschirr zertrümmert und ein Eichhörnchen mit einer Schreibfeder verletzt, ist nicht abendfüllend, selbst wenn es sich plötzlich einem Albtraum ausgesetzt sieht. Die malträtierten Gegenstände beginnen sich zu wehren und geben nicht eher Ruhe, bis der Übeltäter Reue und Mitleid zeigt.

Regisseur Grzegorz Jarzyna versuchte es anfangs mit einem Gag. Ein Filmteam hat auf der Bühne sein Set aufgebaut. In einem seitlich geöffneten Container befinden sich die Kulissen für die Innenaufnahmen. Dirigent Kent Nagano lässt sich kurz blicken, um dann in den Orchestergraben zu verschwinden. Zum Glück vergisst das Regie-Team diese Idee alsbald (oder haben sich die Kameraleute ebenfalls in Tiere verwandelt?) – und das ist gut so.

So kann man diesen durch keinerlei inszenierte Psychologie aufgepäppelten Kindergeburtstag ungestört genießen, sich an den fantasievollen Kostümen (Anna Nykowska Duszynska) erfreuen und engagierte junge Sänger wie Tara Erraught, Okka von der Damerau, Laura Tatulescu oder Camilla Tilling bestaunen. Schwamm drüber, dass für diese filigrane Klangraffinesse das riesige Nationaltheater nicht unbedingt das beste Ambiente bietet. Schade allenfalls, dass der Dirigent auch dort, wo klare Kante angesagt war, allzu zurückhaltend musizieren ließ.

Verglichen mit Ravels Märchenstunde ist Zemlinskys „Zwerg” von ganz anderem Kaliber. Eine Prinzessin bekommt zum achtzehnten Geburtstag einen hässlichen Zwerg geschenkt. Er hat sich noch nie im Spiegel gesehen. Am Ende wird er von der gelangweilten jungen Dame samt Hofstaat gezwungen, den für ihn tödlichen Blick zu wagen. Eine Bosheit von Oscar Wilde, zu der sich Alexander Zemlinsky eine effektvolle, spätromantisch konventionelle, eher vordergründig dramatische Musik ausdachte. Auch hierfür besaß Kent Nagano den Schlüssel. Er ließ das Staatsorchester schwelgen, ohne die Sänger zuzudecken.

Weil sich ein Zwerg auf der Bühne kaum darstellen lässt, erschien Tenor John Daszak in einem schwarzen Straßenanzug unserer Tage inmitten einer viktorianisch gekleideten Gesellschaft. Stimmlich bisweilen sehr angestrengt, zeigte er eine beklemmende Studie eines Außenseiters, der es als einziger wagt, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen. Camilla Tilling als verwöhnte Infantin reagierte darauf gesanglich angemessen, Irmgard Vilsmeier als deren Zofe Ghita höchst eindrucksvoll. Ein Abend für Neugierige. Das Publikum verzieh die kleineren Durststrecken und klatschte heftig. Besser geht es schließlich immer.

Volker Boser

Wieder am 3., 6., 9., 13., 20. März; Karten unter Tel.2185-1920

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