Große Beziehungskiste
Von Richard Strauss über Wagner bis (vielleicht) zu Christian Thielemann: Das kulturelle Geben und Nehmen hat zwischen den beiden Freistaaten Bayern und Sachsen eine lange Tradition
Auch wenn die Dialekte unterschiedlicher nicht sein könnten, München und Dresden verbindet ein enges Beziehungsgeflecht. Vor allem in der Musik: Es ist kein Geheimnis, dass es Christian Thielemann an die Elbe drängt. Aus Ärger über den nicht verlängerten Vertrag bei den Philharmonikern könnte sich der Dirigent die sächsische Hauptstadt als ein neues Wirkungsfeld vorstellen. Zum Beispiel als Chefdirigent der Staatskapelle Dresden.
Pikant wird die Personalie durch eine zufällige Konstellation: Ulrike Hessler, noch Kommunikations-Chefin der Bayerischen Staatsoper, zieht es ebenfalls nach Dresden. Nach Ende der kommenden Spielzeit übernimmt sie die Intendanz der Staatsoper Dresden. Zu Spekulationen über Thielemanns Zukunft, die beide möglicherweise zusammenführen könnte, sagt die Opern-Managerin nur so viel: „Zuerst muss sich das Orchester einig sein, also die Sächsische Staatskapelle.“ Deren Musiker sind derzeit nicht vor Ort. Einige von spielen in Bayreuth unter Thielemann. Probt er schon die Rolle ihres neuen Chefdirigenten?
Aber nicht nur der Dirigent macht die Beziehungskiste München-Dresden reizvoll. „Es geht um zwei herausragende Kunststädte, die sich in ihrer Geschichte gegenseitig bereichert haben“, sagt Ulrike Hessler. „Beide waren die Residenzen kunstsinniger Fürsten, deren Schlösser bis heute das Bild der Städte prägen. Und in beiden spielt die Oper traditionell eine gewichtige Rolle. Das schafft eine Basis.“
Komponisten und Architekten
Davon ist Hessler überzeugt. Sie verweist auf einen Fall von Kulturaustausch, der Musikgeschichte schrieb: Als der Urmünchner Richard Strauss, Spross einer alteingesessenen Bierbrauer-Dynastie, in seiner Heimatstadt als Hofkapellmeister abgelehnt worden war, rächte er sich von Dresden aus. Dort brachte er seine Oper „Feuersnot“ zur Uraufführung – eine giftige Abrechnung mit dem Münchner Banausentum.
Die Liebe des Komponisten zur Metropole der Sachsen wurde im Lauf der Jahre immer intensiver. Ulrike Hessler: „Neun Strauss-Opern erlebten in Dresden ihre Uraufführung.“ Und noch ein weiterer Musik-Gigant brachte beide Städte in engen Zusammenhang: Der Sachse Richard Wagner. Hessler: „Am Münchner Nationaltheater erlebten immerhin vier seiner Opern ihre Uraufführung, dank König Ludwig II., dem großen Fan des Komponisten: ,Rheingold’, ,Walküre’, ,Tristan und Isolde’ sowie ,Meistersinger’.“
So richtig begonnen hat die Karriere Wagners allerdings in Dresden, wo er sieben Jahre als Hofkapellmeister wirkte und mit „Rienzi“ seinen ersten großen Erfolg hatte. „In Dresden war es auch, wo Wagners Freundschaft mit dem Dirigenten Hans von Bülow begann. Dessen Frau Cosima sollte im späteren Leben des Komponisten eine zentrale Rolle spielen.“ Ulrike Hessler erinnert daran, dass die heiße Affäre der beiden das Zeug zu einem Münchner Gesellschafts-Skandal hatte, der beim königlichen Wagner-Förderer für Verstimmung sorgte.
Auch Architekten spielten im Beziehungsgeflecht der beiden Städte eine Rolle. „Gottfried Semper, von dem die Planung des inzwischen nach ihm benannten Dresdner Opernhauses stammt, war ein enger Freund Wagners. Ludwig II. beauftragte ihn mit dem Bau eines Festspielhauses hoch über der Isar. Die Planung war bereits fertig. Doch der Monarch konnte das Projekt aus finanziellen Gründen nicht durchsetzen“, so Hessler. Umso ergiebiger wurde die Zusammenarbeit Münchens mit einem anderen aus Sachsen stammenden Architekten – mit Max Littmann. Opernmanagerin Hessler: „Wenn auch aus Sempers Festspielhaus nichts geworden ist, so baute Littmann immerhin einen anderen Kulturtempel – das Prinzregententheater."
Der prominente Sachse hinterließ aber noch viele andere Spuren seines Wirkens in Bayerns Hauptstadt. „Auch wenn es Patrioten schmerzt, lässt es sich nicht verheimlichen: Auch das Hofbräuhaus, eine Hochburg bayerischen Selbstverständnisses, stammt vom Sachsen Littmann", merkt Hessler süffisant an. „Ebenso das opulente Orlando-Haus in der direkten Nachbarschaft.“
Die Prinzessin aus Hildburghausen
München und Dresden, Bayern und Sachsen – die Beziehungen gehen so weit, dass die Bayern-Metropole selbst bei der Wahl eines ihrer wichtigsten Nationalheiligen nicht ohne sächsische Wurzeln auskommt. „Wir wollen nicht vergessen, dass Karl Valentins Mutter aus Zittau stammt, somit also eine veritable Sächsin ist“, stellt Hessler fest.
Aber die künftige Dresdner Opernchefin greift noch tiefer in die Geschichte: „Das Oktoberfest verdankt einer sächsischen Prinzessin seine Gründung. Anlass war die Hochzeit des späteren Königs Ludwig I., mit Therese aus Hildburghausen.“ Auf der nach ihr benannten Wiese findet bis heute das größte Volksfest der Welt statt. Das Oktoberfest auf der Opernbühne – der Regisseur August Everding hat es geschafft. In seiner Münchner „Meistersinger“-Inszenierung von 1979 funktionierte er die Festwiese zur kracherten Wiesn um.
Martin Schäfer