Grinsen beim Abendmahl
Der Oberammergauer „Judas“ über die Kälte- Probleme der Passion, seine überarbeitete Rolle – und was Apostel für ihre Sünden in die Kasse zahlen müssen
Er hat bei der Passion in Oberammergau zwei Stunden vor allen anderen Hauptdarstellern Feierabend: Judas, denn er bringt sich bekanntlich um. Als wir Carsten Lück in der Pause am Bühneneingang treffen, raucht Judas noch schnell eine Zigarette. Dann bittet er – vorbei an dem Kreuz, an dem Jesus wenig später sterben wird – in die Apostel-Garderobe. Mit oberländer Ruhe und Konzentration gibt er Auskunft, obwohl daheim im Ort das Abendessen auf ihn wartet.
AZ: Herr Lück, die Passion 2010 läuft nun die zweite Woche. Gab es schon die eine oder andere Panne auf der Bühne?
CARSTEN LÜCK: Einmal ist etwas wirklich Seltsames passiert. Der Kaiphas, also Anton Burkhart, der war vor zehn Jahren der Jesus. Jesus sprechen wir als „Rabbi“ an. Bei der Verlockung des Kaiphas sagt der zu mir: „Judas warte, wir schulden dir etwas.“ Und ich antworte normalerweise: „Nein, Hoher Priester, du schuldest mir nichts.“ Stattdessen sagte ich: „Nein, Rabbi, ...“ Mir ist das gar nicht aufgefallen, aber den anderen auf der Bühne. Anscheinend steckt das noch tief bei mir drin, dass er vor zehn Jahren der Rabbi war.
Das sind ja überschaubare Unfälle...
Ja, es läuft recht rund. Und wir sind sehr darauf bedacht, dass es keine Albereien auf der Bühne gibt. Die kommen sonst fast automatisch, wenn das Spielen zur Gewohnheit wird. Ich habe heute schon meine Strafe zahlen müssen, weil ich beim Abendmahl gegrinst habe.
Ach?
Ja, ich habe einen anderen Apostel angeschaut – plötzlich kann man es dann nicht mehr unterdrücken, und wir haben uns angegrinst. Das kostet sofort, wir haben ein genau festgelegtes Strafenregister.
Was kostet Grinsen beim Abendmahl?
Drei Euro. Die kommen in die Apostelkasse – und damit machen wir dann große Feste.
Da müssen ja viele Sünden zusammenkommen.
Ach, es passieren immer mal wieder welche. Das größte Fest machen aber die Händler, die diese von Jesus zerbrochenen Krüge wieder zusammenkleben und verkaufen. Da gibt es meist zur Hälfte der Spielzeit ein richtig großes Fest mit Bierzelt für alle 2000 Leute.
Ab wann schlägt in einer Spielzeit die Anspannung in Routine um?
Das wird bei jedem individuell anders sein. Man muss daran arbeiten, dass Anspannung und Konzentration erhalten bleiben. Auch weil sich ja das Publikum nach den ersten Tagen völlig wandelt. Am Anfang kennt man noch die Leute und fast alle sprechen Deutsch. Inzwischen sind es 80 bis 90 Prozent, die uns nicht verstehen, weil sie englisch oder japanisch sprechen. Auf der Bühne merken wir es, wenn alle im Textbuch lesen – weil wir es hören, wenn alle auf einmal die Seiten umblättern.
Vor allem in der ersten Woche redeten alle übers Wetter. Hat die Eiseskälte Ihnen auch auf der Bühne zu schaffen gemacht?
Wir Apostel haben ja nur Sandalen an und gerade im ersten Teil sehr viele Szenen hintereinander – da mussten wir hinter der Bühne schon mal zwischendrin eine vorgezogene Fußwaschung mit warmem Wasser vornehmen. So eine extreme Kälte drückt natürlich die Gesamtstimmung, das schlägt auf die Psyche. Wenn es wärmer wird, ändert sich das.
Heuer gibt es das Nachtspiel – wird da überhaupt anschließend noch flaniert werden?
Das weiß man noch nicht. In der ersten Woche waren die Leute noch zu durchgefroren.
Wie sehen Sie die veränderte Judas-Figur?
Wir merken an den Reaktionen und Kritiken, dass es ankommt, wie wir den Judas umgemünzt haben. Seine Umtriebigkeit ist jetzt noch besser spürbar. Etwa in der Bethanien-Szene, wo die Apostel entsetzt sind über Jesus, der ihnen seinen Tod ankündigt. Judas ist die politischste Figur in dem Stück, bei ihm muss die Emotion am größten sein. Das muss ich richtig ausspielen: Dass er nicht wollte, dass es so ausgeht, dass Jesus am Kreuz endet. Wie unsicher er ist, wie stark er verzweifelt. Man muss ihm abnehmen, dass er nicht der verstohlene Verräter war, sondern er hat sich gewaltig linken lassen.
Selbst der Judaskuss ist nun quasi eine einvernehmliche Handlung, Jesus kommt regelrecht auf Judas zu.
Ja, er begrüßt ihn als Freund. Es muss klar sein, das Jesus ihn nicht verurteilt.
Es klingt, als wären Sie sehr zufrieden mit der Weiterentwicklung der Judas-Rolle.
Es ist immer schwierig, den Bösewicht zu spielen. Da ist man schon froh, wenn der Bösewicht etwas rehabilitiert wird. Vor zehn Jahren haben wir das auch schon versucht, aber es kommt dieses Mal wohl noch besser rüber.
Bekommt man als Judas abseits der Bühne eigentlich Seitenhiebe wegen der Rolle?
Das ist nicht so wild. Gerade Kinder gehen mit der Figur viel entspannter um. Gut, unter Erwachsenen gibt es hin und wieder ein Anmerkung. Letzthin habe ich zum Beispiel einen Hauptmann verraten, weil er auf der Bühne einen Ohrring trug. Da heißt es natürlich: klar, der Verräter schon wieder... Aber das sind Albereien.
Michael Grill
Die Passion wird gespielt bis 3.10. Einzeltickets sind erhältlich über München-Ticket oder www.passionsspiele2010.de