Grandiose Feuchtgebiete
Bayerische Staatsoper: Andreas Kriegensburgs gelungener „Wozzeck“ in Gummistiefeln
Alban Bergs „Wozzeck" ist eine ziemlich traurige Angelegenheit. Doch diesmal durfte man hinterher sogar lachen. GMD Kent Nagano betrat zum Schlussapplaus, den kein einziges Buh trübte, die mit Wasser überflutete Bühne des Nationaltheaters – barfuß und mit bis zum Knie hochgekrempelten Hosenbeinen. Die Sänger hatten zuvor weitgehend in Gummistiefeln agiert.
Regisseur Andreas Kriegenburg und Harald B. Thor (Bühnenbild) wollten es so. Todesstimmung war angesagt: Wozzecks Haus baumelte über einer Wasserfläche, ein Traumbild, der Phantasie und den Wahnvorstellungen einer geschundenen Kreatur entsprungen, für die der Kampf ums Überleben die Realität schon lange außer Kraft gesetzt hat.
Widerwärtige Quälgeist-Qualitäten
Wie ein Frettchen saugt sich der Hauptmann, Wozzecks Dienstherr, an ihm fest – und wird dabei immer dicker. Wolfgang Schmidt gelang eine beklemmende Studie menschlicher Perversion. Und auch der Doktor, geil und neurotisch, dem Wozzeck als medizinisches Versuchskaninchen dient, hatte geradezu widerwärtige Quälgeist-Qualitäten (Clive Bayley).
Andreas Kriegenburgs Opernwelt ist weit entfernt von den oberflächlichen Selbstdarstellungsmechanismen so mancher seiner Regie-Kollegen. Klug beharrte er darauf, die Geschichte in der Zeit zu belassen, in der Georg Büchner sie geschrieben hat (Kostüme: Andrea Schraad). Aktionismus suchte man vergebens. Den Sängern genügten wenige Bewegungs-Varianten und Körperhaltungen, um die vorgegebene Atmosphäre umzusetzen.
Eindringlichkeit entstand aus der Einheit von Gesten, stimmlichem Ausdruck und von szenischer Spannung. Der Sog, den die Handlung entwickelte, war so stark, dass sich die Frage nach der Berechtigung, das Stück ohne Pause durchzuspielen, gar nicht erst stellte.
Musikalisch bravourös bewältigt
Erlebnisräume öffneten sich. Was natürlich auch daran lag, dass die musikalische Seite bravourös bewältigt wurde. Wohl kaum eine Oper ist so minutiös durchdacht wie „Wozzeck". Nahezu jede Note steht in einem Zusammenhang mit dem Ganzen.
Kent Nagano machte mit dem Staatsorchester diese inneren Bezüge auf beklemmende Weise deutlich, ohne - vor allem im Zwischenspiel vor der letzten Szene - auf üppigen Wohlklang zu verzichten. Das Problem, wie man 15 Musiker aus dem Orchestergraben auf die Bühne bringt, wurde entgegen anderen Ankündigungen konventionell gelöst: Man sah und hörte die Musiker auf einem Podium, das bedauernswerte Statisten auf dem Rücken balancieren durften.
Wie der FC Bayern
Das Beste zum Schluss: Michael Volle in der Titelpartie sang und spielte bewunderungswürdig. Er ist ein Glücksfall für die Bayerische Staatsoper. Ihm ebenbürtig die Marie von Michaela Schuster. Beiden war die dramatische Intensität ebenso wichtig wie der Kampf mit Alban Bergs kniffliger Noten-Akrobatik. Sehr gut Kevin Conners (Andres), schwach Jürgen Müller (Tambourmajor), zuverlässig wie immer der von Andrés Máspero einstudierte Staatsopernchor.
Am Ende konnte sich Opernchef Nikolaus Bachler die Hände reiben. Es geht ihm wie dem FC Bayern. Nach schwachem Beginn („Macbeth") hat sein Schiff endgültig Fahrt aufgenommen.
Volker Boser
Vorstellungen auch am 13., 16., 20., 23.11., Karten unter Tel. 089 – 21851920