"Götterdämmerung" in Erl

Brigitte Fassbaenders "Ring" rundet sich im Passionstheater
von  Wolf-Dieter Peter
Wagner für Traditionalisten: Christine Libor als Brünnhilde im Finale der von Brigitte Fassbaender inszenierten "Götterdämmerung".
Wagner für Traditionalisten: Christine Libor als Brünnhilde im Finale der von Brigitte Fassbaender inszenierten "Götterdämmerung". © Xiomara Bender

Binnen acht Tagen zwei Wagner-Neuproduktionen inmitten eines vielfältigen Programms und das mit begrenzten Mitteln, technisch wie finanziell - da braucht es Profis. Unbeeindruckt von der wuchernden Gerüchteküche um den neuen Erler "Star-Intendanten" Jonas Kaufmann ab 2025 und den von seinem kommenden Musik-Chef kolportierten Dümmlichkeiten zeigten Intendant Bernd Loebe und Regisseurin Brigitte Fassbaender, dass sie ihre Jobs einfach beeindruckend können: Sänger-Glanz ohne Starnamen-Geplustere und frische, neue Regie-Nuancen.

Fassbaender, ihr Ausstatter-Profi Kaspar Glarner und Bibi Abels mit ihren Videos beschworen mit Projektionen auf den leeren Seitenwänden und dem Gaze-Vorhang vor dem hinten postierten Orchester zunächst mal hübsche Wald-Atmosphäre um Jung-Siegfried. Als Kind spielte der im Vorspiel schon mit einem Holzschwert. Dann wurde in hübsch überlegten Stationen das Schmieden des Schwertes Nothung vorgeführt.


Die sehnsuchtsvolle Rückerinnerung Siegfrieds gelang in einem atmosphärischen "Waldweben", ehe der zu einem waffen-strotzenden Kriegsmonster mutierte Riese Fafner erschlagen wurde. All das beobachtete Craig Colclough als verwahrloster Waldschrat Alberich mit finsteren Tönen. Als szenischer Coup erwies sich der Besuch des fesch ergrauten Wotan-Wanderers von Simon Bailey bei der einstigen Geliebten: Erda ruhte neben dem stilvollen Nachtkästchen in einem hochgefahrenen, edel satin-glänzenden Doppelbett, in das sich Wotan kurz nochmals legte - um dann vor der traumschönen, mit pastosen Mezzo-Tönen betörenden Zanda Švëde doch im vokal beeindruckenden Streit zu fliehen.

Als auch das Erschrecken Siegfrieds vor Brünnhilde, der schlafenden, ersten Frau in seinem menschlich bislang begrenzten Leben, mit "Das ist kein Mann!" so überzeugend gelang, dass das ganze Publikum aus aller Anspannung in befreiendes Gelächter ausbrach, war klar: der Werk-Kennerin Fassbaender war die differenzierte Feinzeichnung all dieser exemplarisch übergroßen Figuren gelungen. Und dann sangen Christiana Libor das nach zwanzig Jahren Schlaf ausgeruhte Heldenweib Brünnhilde und Vincent Wolfsteiner den von allen Abenteuern nicht erschöpften Siegfried auch noch volltönend - Wagner-Glück im oft faden "Scherzo" des "Ring"!

Ob dann angemessene Proben-Zeit für vergleichbares Niveau in der "Götterdämmerung" fehlte? Denn gealterte, einst weltweise Nornen im Nirgendwo, überheblicher Gibichungen-Herrscherhof, feurig umloderter Brünnhildenfelsen, Waldidylle mit Nixen-Planscherei, Rheinufer mit grandioser Feuerbestattung zweier Übermenschen, die dann in einen Weltenbrand mündet - da waren die Möglichkeiten im Passionsspielhaus doch sichtbar zu begrenzt. Abermals gab es überlegte Einzelheiten: die grauhaarigen alten Nornen-Damen als Kaffeekränzchen strickten an endlosen Schals; dass die höchst agil-frechen Nixen knüpften an ihren "Rheingold"-Auftritt an; Brünnhildes zunächst unsterbliches, dann aber weltliches Ross Grane wechselte als Halskette mit Pferdchen-Anhänger mehrfach den Besitzer; Hagen und Brünnhilde konsumierten ordentlich Alkohol.


Die Solisten reagierten gut aufeinander und sangen sehr gut - aber fesselnde Spannung stellte sich in der Hitze des Abends nicht ein. Dem waren wohl auch die Zusammenspiel- und Intonationsungenauigkeiten im Orchester geschuldet und Dirigent Erik Nielsen konnte nicht mehr als Gutes erklingen lassen. Christiane Libors Brünnhilde und Vincent Wolfsteiners Siegfried sangen souverän, klangen aber mehrfach nach Anna Russells spöttischem "Alles, was du singen kannst, kann ich lauter" - und beide sollten an ihrem "Heroinen-Heroen-Äußeren" arbeiten.

Schluss-Höhepunkt: Craig Colcloughs Alberich hatte sich für die Gibichungen-Welt in Anzug mit Gold-Weste geschmissen, manipulierte erst und erwürgte am Ende seinen gescheiterten Sohn Hagen. Dann trat er ins Zentrum und ballte die Fäuste: Mit all dem zusätzlichen Wissen wird dieser Finsterling die nächste Welteroberung angehen! Da stand die aktuelle Drohung: absurde, demokratie-gefährdende Geld-Anhäufung, gespenstische private Datenmacht-Konzentration, mieser Wechsel zwischen Unsichtbarkeit und Einfluss-Protzerei - sind die Alberiche dieser unserer Welt nicht schon längst in Position? Wagners "Ring" in Erl war da eine sehr aktuell mahnende und warnende Parabel…

Wolf-Dieter Peter

"Siegfried" wieder am 21. und 27. Juli, "Götterdämmerung" am 23. und 29. Juli im Passionstheater. Infos unter tiroler-festspiele.at

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