Gnadenlos kalter Winter
Das Theater der Jugend in der Schauburg am Elisabethplatz zeigt „Der weiße Dampfer“ nach einer Erzählung des Kirgisen Tschingis Aitmatov
Auf den ersten Blick ein Abenteuer, von dem manches Stadtkind träumt: Die weiten Landschaften Mittelasiens, in denen man sich zu Pferd bewegt. Die nächste Schule ist so weit weg, dass die Idee, Kinder dorthin zu schicken, als verrückt gilt. Doch die Welt, die Tschingis Aitmatow, das „Gesicht und die Stimme Kirgisiens“, in seiner Novelle „Der weiße Dampfer" beschreibt, ist nicht heil, sondern heillos.
Regisseur Beat Fäh erzählt jetzt die Geschichte aus weit entfernter Wildnis in einer eigenen Fassung für Zuschauer ab neun Jahren in der Schauburg, in der aus diesem Anlass der Duft von frisch verarbeitetem Holz liegt. Er entströmt der Arena, die Bühnenbildnerin Mandy Hanke für das Publikum roh zusammenzimmern ließ und ist – zusammen mit der Härte des Gestühls – der sinnlichste Eindruck dieser Inszenierung. Fäh, der an gleicher Stelle oft mit starken Bildern begeisterte, überrascht hier mit einer an Spröde grenzenden Schlichtheit. Statt von einem prächtig weißen Dampfschiff wird die Bühne dominiert von einem grauen, rostigen LKW-Fahrerhaus.
Der Theaterzauber findet nicht statt
Die sechs Darsteller bleiben meist in der Funktion von Erzählerin oder Erzähler. Ausnahmen sind der namenlose Junge (Markus Campana) und die grantige Großmutter. Sie und der gutmütige Großvater werden gespielt von Ruth Oswalt und Gerd Imbsweiler als Gästen am Elisabethplatz, die seit ihrer Baseler „Spilkischte“ Pioniere des Schweizer Kinder- und Jugendtheaters sind.
Nicht einmal die Träume des Jungen werden Anlass zu romantisierendem Theaterzauber: Die Sehnsucht, sich in einen Fisch zu verwandeln, um endlich den weißen Dampfer zu erreichen, auf dem sein Vater arbeitet, wächst zu einer Parallelwelt, die zwar Zuflucht vor der bedrückenden Realität bietet, aber zunehmend selbst unentrinnbar wird. Gnadenlos und kalt wie ein kirgisischer Winter erzählt Fäh von Einsamen und Enttäuschten.
Mathias Hejny
Schauburg, 12., 15., 16. Januar, 19.30 Uhr, Telefon 23337155