Glück ist harte Arbeit

Die Kanadierin Alice Munro ist mit dem diesjährigen Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden. Das gab die Schwedische Akademie am Donnerstag bekannt. 
von  Volker Isfort/RBR

Die 82-jährige kanadische Autorin Alice Munro wird heuer mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt. Sie gilt als Meisterin der einfühlsamen Kurzgeschichte

Diverse Kamerateams und viele Journalisten warteten gestern um 13 Uhr beim Stand des Hanser-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse. Die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch galt als heiße Favoritin für den Literaturnobelpreis.

Aber die Schwedische Akademie liebt es, zu überraschen. Wenn alle Beobachter eine politische Preisvergabe erwarten, erfolgt fast eine literarische: Heuer erhält Alice Munro, die 82-jährige Meisterin der Kurzgeschichte, die mit acht Millionen Schwedischen Kronen (etwa 920<TH>000 Euro) dotierte Ehrung.

Unerwartet ist die Preisvergabe nicht. Voriges Jahr wurde der Verlag S. Fischer belagert, der Munros Bücher auf Deutsch verlegt. „Es ist ein Paradoxon“, charakterisiert Programmchef Hans-Jürgen Balmes die Werke der Autorin, deren Schreibweise er mit Tschechow vergleicht. „Munro schreibt über die komplizierten Dinge wie menschliche Beziehungen, Glück und Unglück ganz einfach. Sie tut dies auf eine vollkommen universelle Art, die ihre Figuren unmittelbar zum Herzen des Lesers führt. Und wer so radikal nach dem Wesen des Menschen fragt, schreibt auf seine Weise politisch.“

Auch Hanser-Verleger Michael Krüger würdigte Munro als „verdiente“ Literaturnobelpreisträgerin. Die Kanadierin hat in Deutschland, wo Kurzgeschichten traditionell weniger geschätzt werden, eine kleine, aber feste Fangemeinde, zu der auch die Filmemacherin und Schriftstellerin Doris Dörrie zählt. Seit dem Tod ihres Mannes im vergangenen April lebt sie zurückgezogen in ihrem kleinen Haus in der kanadischen Provinz Ontario und hat das Schreiben aufgegeben. Im Frühjahr soll der 2012 auf Englisch erschienene Band „Dear Life: Stories“ auf Deutsch herauskommen.

Die Autorin war eine Spätstarterin. Ihren ersten Erzählband, „Tanz der seligen Geister“, veröffentlichte Munro 1968 mit fast 40 Jahren. Die Zeit zum Schreiben hatte die damalige Hausfrau und Mutter dem Alltag abgerungen, sich während des Kochens und während des Mittagsschlafs oder Schulbesuchs ihrer Kinder immer wieder an den kleinen Sekretär gesetzt.

Munro gilt als einfühlsame Betrachterin von Leben und Gepflogenheiten der einfachen Menschen in ihrer Heimat. Ihr gelinge die Mischung aus Fakten und Fiktion, würdigte die Nobelpreis-Jury die Autorin. Ihr Milieu sei der Südwesten Ontarios, sagte Akademie-Sekretär Peter Englund. „Sie hat alles, was sie braucht, in diesem Stückchen Erde.“

Munros Geschichten sind fast immer nahe an ihrem eigenen Leben. Es geht um Frauen – um Mütter und Töchter – die erwachsen werden, sich verlieben und die schönen und tragischen Seiten des Lebens kennenlernen.

Munro wurde von ihrer Tochter telefonisch über die Ehrung informiert. Schon vor Jahren erfuhr sie von ihrem Verleger, sie sei Favoritin für den Literaturnobelpreis. „Und ich wusste, wenn ich gewinne, wäre ich für eine halbe Stunde wahnsinnig glücklich, und danach würde ich denken: Was für eine Qual.“ Denn Glück ist kein Preis, ist die überzeugte Calvinistin sicher – „Glück ist harte Arbeit“.

Munro ist die 13. Frau, die mit dem berühmtesten Literaturpreis der Welt geehrt wird. Überreicht wird er am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels, in Stockholm. Das fünfköpfige Nobelkomitee wählt aus den zahlreichen Vorschlägen fünf Nominierte, aus denen die Mitglieder der Schwedischen Akademie nach Beschäftigung mit den Werken den Preisträger wählen. Der Prozess ist streng geheim. Die Nominierten dürfen laut Nobel-Statuten erst 50 Jahre später veröffentlicht werden.

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