Glauben, ohne zu wissen

Der Kabarettist und Schauspieler (39) war in Bochum und Bremen am Theater. Karriere machte er mit Lesungen aus Hitlers „Mein Kampf“ und Goebbels’ „Sportpalastrede. Serdar Somuncu im AZ-Interview.
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Der Kabarettist und Schauspieler (39) war in Bochum und Bremen am Theater. Karriere machte er mit Lesungen aus Hitlers „Mein Kampf“ und Goebbels’ „Sportpalastrede. Serdar Somuncu im AZ-Interview.

Seine Teilnahme an Stefan Raabs Wok-WM, bei der er sich am Arm verletzte, hat der querköpfige Deutschtürke mit deutschem Pass und frecher Klappe womöglich als weitere Irritation geplant. Damit kennt er sich aus. Seine provokativen Lesungen aus Hitlers „Mein Kampf“ und Goebbels’ Tagebüchern fanden früher gerne unter Polizeischutz statt – eine Sicherheitsmaßnahme gegen Glatzköpfe von rechts. Von empörten Redakteuren ist nichts bekannt, wenn Serdar Somuncu in „Bild lesen“ Mechanismen der Meinungsmache seziert.

AZ: Herr Somuncu, bislang durfte man die „Bild“-Zeitung ungestraft nur als „Lügenblatt“ bezeichnen. Ist sie jetzt ein Witzblatt?

SERDAR SOMUNCU: Sie ist auch ein Witzblatt, aber vor allem eine sehr gut gemachte schlechte Zeitung. Und das versuche ich jeden Abend aufs Neue unter Beweis zu stellen.

Diese Zeitung ist gleichzeitig die auflagenstärkste der Republik. Spiegelt das den geistigen Zustand des Landes?

Wenn man bedenkt, dass die Auflage beständig zurückgegangen ist, ist es ja eher ein Kompliment an die Republik. Aber leider lesen immer noch 3,5 Millionen die „Bild“ und mindestens die Hälfte glaubt auch, was darin steht.

Sie sind bei „Bild lesen“ ja auf die täglichen Steilvorlagen einer Redaktion angewiesen. Macht Sie das nicht nervös?

Nein, das ist gerade der Reiz daran, dass man zusammen mit den Zuschauern zum erstenMal den Blick auf die Titelseite wirft und sich inspirieren lässt. Und in den letzten Monaten gab’s ja genügend Überschriften, die für sich schon sehr witzig waren. Ich erinnere nur an „Erstes Tor mit Penis geschossen“.

Sie haben also in der Garderobe nie Panik-Gefühle?

Nein, wir haben ja für den Fall, dass das Niveau allzu flach wird, immer noch eine lokale Zeitung im Einsatz, in diesem Falle also die „Abendzeitung“. Dann springe ich, falls die „Bild“ nicht ausreicht.

Als was würden Sie Ihr Treiben denn da bezeichnen? Als Stand-Up-Kabarett?

Ja, das kann man so nennen. Oder Bühnen-Performance.

Und was und wen wollen Sie damit herausfordern?

Vor allem mich! Denn es ist zum ersten Mal so, dass jeder Abend ein Unikat ist. Dementsprechend Freude ich mich darauf. Für den Zuschauer ist es auch sehr reizvoll.

Ich nehme mal an, Sie sehen eine direkte Linie von Hitler und Goebbels zur „Bild“.

Unbedingt. Bei Hitler und Goebbels haben wir die Auswirkungen von Meinungsmache untersucht. Bei „Bild“ können wir Meinungsmache in ihrer Entstehung beobachten. „Bild“ setzt ja Prioritäten.Man kann zeigen, welche Konsortien dahinterstecken, wie verlogen das auch manchmal ist.

Eine Medienschelte also.

Nicht nur, aber auch. Wenn man vor Augen hat, dass sich viele auch beeinflussen lassen von der „Bild“ und an Debatten teilnehmen, ohne zu wissen, was eigentlich Grundlage der Debatte ist, wird’s auch ein bisschen Publikumsschelte.

Sie kokettieren ja mit Ihrem Status als Deutsch- Türke, haben sich das „goldene Stoiber- Siegel für angepasste Kanaken“ angepappt. Damit passen Sie bestens zur laufenden Integrationsdebatte. Ist die berechtigt oder aufgeblasen?

Sie ist dann nicht berechtigt, wenn die Deutschen von den Ausländern verlangen, dass sie deutscher werden, als sie es selbst sein können. Bei den Ausländern ist es ebenso. Man kann sich nicht in der Fremde überfremdet fühlen. Assimilation und Integration sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Ausländer wie Deutsche haben ihren Anteil zu leisten. Dann muss auch niemand mehr damit kokettieren, das er das Eine oder das Andere ist. Dann ist man einfach froh, in diesem schönen Land zu leben.

Da passt das künftige Solo „Hassprediger – ein demagogischer Blindtest“ ja bestens dazu. Sind Sie etwa auf einer Mission?

Die Mission mag sein, dass ich das Theater benutze als Projektionsfläche für meine innere Auseinandersetzung. Das nächste Programm ist der Versuch, wieder stärker in die politische Richtung zu gehen. Wir waren ja jetzt zwei Jahre sehr boulevardesk. Ich kann Ihnen sagen, irgendwann können Sie die Titten vom Mädchen auf Seite 1 nicht mehr sehen. Da braucht man auch wieder mehr Inhalt. Ich habe gestern die ersten Texte gelesen. Das ist schon erschreckend für unser politisches Bewusstsein, wenn man Texte der NDP nicht von denen der Linken unterscheiden kann.

Die Hohoho-Rufe werden kommen, dass Sie Roland Koch in einen Topf mit Osama Bin Laden werfen.

Fakt ist, man kann kaum unterscheiden, ob der Papst oder Bin Laden, George Bush oder Saddam Hussein etwas gesagt haben, wenn man nicht die dazugehörige Klammer hat. Die Frage ist doch: Was glauben wir alles, ohne zu wissen, was dahintersteckt? Ich konnte gar nicht

Ich konnte gar nicht glauben, dass Sie bei Raabs Wok-WM mitmachten. Sind Sie nicht der Meinung, dass solche Sendungen zur allgemeinen Verblödung beitragen?

Bin ich schon. Aber mein Ziel ist ja, mit meiner hoch komplexen Arbeit zum Mainstream zu kommen. Und da ist das eine dankbare Vorlage, bei der Wok-WM teilzunehmen, denn ich verdrehe und verkaufe mich ja nicht, ich verdrehe mir höchstens den Arm.

Andreas Radlmaier

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