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Frauen, die Geschichte machen: Margarethe von Trotta porträtiert in ihrem Film „Vision“die Äbtissin und Medizinerin Hildegard von Bingen, die dem Mittelalter weit voraus war
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Frauen, die Geschichte machen: Margarethe von Trotta porträtiert in ihrem Film „Vision“die Äbtissin und Medizinerin Hildegard von Bingen, die dem Mittelalter weit voraus war

Frauen-Schicksale mit Zeitgeschichte zu verbinden, ist eine Domäne von Margarethe von Trotta. Nun hat die vielfach ausgezeichnete deutsche Filmemacherin („Die bleierne Zeit“, „Rosa Luxemburg“, „Rosenstraße“) Hildegard von Bingen (um 1098 – 1179) porträtiert. Ende September kommt „Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“ in unsere Kinos. Die Hauptrolle spielt erneut Barbara Sukowa, im Team mit Heino Ferch, Hannah Herzsprung, Lena Stolze, Sunnyi Melles, Alexander Held. Gedreht wurde auch im Zisterzienserkloster Eberbach im Rheingau („Der Name der Rose“). Im Herbst startet ein Genre-Konkurrenzfilm, Sönke Wortmanns „Päpstin“.

Die Idee zum Bingen-Film hatte von Trotta schon in den 70er Jahren. „Im Verlauf der Frauenbewegung haben wir nach Vorbildern in der Geschichte gesucht, nach Frauen, die etwas bewegt haben in einer von Männern regierten Welt“, erzählt sie. „Da bin ich auf Hildegard von Bingen gekommen, auf deren ganzheitliche Medizin man zurückgriff. Sie war ein Multitalent, eine Visionärin, zugleich ganz bodenständig. Und sie hatte den Mut, sich mit einflussreichsten Männern anzulegen, aus strengen kirchlichen Regeln auszubrechen und ihr eigenes Kloster zu gründen.“

Ihrer Zeit weit vorau

Anfang der 80er Jahre, noch vor „Rosa Luxemburg“ (1986), schrieb Margarethe von Trotta erste Szenen, zweifelte aber an der Finanzierbarkeit. Das Script verschwand in der Schublade – bis sie 2008 Produzent Markus Zimmer von Concorde Film ermutigte und man Geldgeber fand für die deutsch-französische Koproduktion. „Es ist kein Hollywood-Spektakel“, sagt von Trotta, „aber diese Frau aus der Vorgeschichte unseres Jahrhunderts ist auch eine interessante Filmfigur.“

Hildegard von Bingen war ihrer Zeit, dem Mittelalter, weit voraus. Als Äbtissin, Seherin, Wissenschaftlerin, die als erste Bücher über Medizin, Religion, Kosmologie und Ethik veröffentlichte. Ihre Visionen wurden von Papst Eugen III. im Jahr 1148 anerkannt. Mächtige Männer aus Klerus und Politik bis zu Kaiser Friedrich Barbarossa hörten auf ihren Rat – und ließen sich in Briefwechseln auch mal herbe Kritik gefallen. Ihre Heil- und Kräuterkunde ist populärer denn je. Erst müsse die Seele gesunden, dann könne der Körper folgen, war einer ihrer Leitsätze. Ihre visionäre Sorge, dass ausgebeutete, zerstörte Elemente sich gegen die Menschen richten werden, gehört heute zum Wissen und Programm von Naturschützern.

Margarethe von Trotta konzentriert sich in ihrem Film auf wichtige Stationen im Leben der Hildegard von Bingen. Als Achtjährige aus einer Adelsfamilie kommt sie in die Klause am Disibodenberg bei Bad Kreuznach, die an ein Mönchskloster angebaut war. Hildegard, liebevoll erzogen von Jutta von Sponheim (Mareile Blendl), wird 1113 zur Benediktinerin und 1136 zur Äbtissin. Ihre Vertrauten sind Mönch Volmar (Heino Ferch) und die kluge Novizin Richardis von Stade (Hannah Herzsprung), die sie ermutigen, ihre Visionen in Büchern wie der „Scivias“ aufzuschreiben, sich gegen den geldgierigen Abt Kuno (Alexander Held) und mögliche Vorwürfe der Ketzerei zu wehren.

Eine menschliche Heilige

Später gründet Hildegard, allen Schwierigkeiten zum Trotz, ein Frauenkloster auf dem Rupertsberg. Dort, in Bingen, am Zusammenfluss von Rhein und Nahe, einem Kreuzpunkt von Pilgern und Kaufleuten, ist Hildegard dem realen Zeitgeschehen ganz nahe, pflegt Kontakte zu Intellektuellen, informiert sich über den Stand der Wissenschaften. Die größte, beinahe tödliche Krise trifft Hildegard, als Richardis als Äbtissin in ein weit entferntes Kloster berufen wird und sie verlässt.

„Da reagiert sie wie ein trotziges Kind oder wie eine Furie, das macht sie richtig menschlich“, meint Margarethe von Trotta. Ein „Heiligenbildchen“ hätte sie nie im Sinn gehabt, sondern immer das Porträt einer Frau, die „nach innen gewandt war und dabei immer nach außen geblickt hat, sich neugierig und lebensfroh neue Räume in einer Männerwelt erkämpfte“. In einer dunklen Zeit, die von Aberglauben, ausgenutzter Frömmigkeit und Machtmissbrauch geprägt war. Ein historischer Klosterfilm fürs Heute? „Hoffentlich“, sagt von Trotta. „Glauben kann man ja mit Wissenwollen verbinden.“

Angie Dullinger

Medienhit Kirche

Kirchenkritische Romane und Filme boomen, sogar abgesehen von den Kinoadaptionen der Bestseller des Dan Brown („Illuminati“ halten sich seit fünf Wochen mit über 3,87 Millionen Besuchern an der Spitze der deutschen Top-Ten). Kirchenhistorie ist auch ein Thema des Kino-Herbstes. Nach von Trottas „Vision“ startet am 29. Oktober Sönke Wortmanns „Die Päpstin“ nach dem Roman von Donna Woolfolk Cross über die Dorfpriester-Tochter Johanna (Johanna Wokalek) aus Ingelheim am Rhein, die es bis zur Päpstin brachte.

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