Gitarren statt Knarren
Nina Hagen feiert im Prinzregententheater einen musikalischen Gottesdienst
Vom Abend mit Nina Hagen bleibt eine Bibel. Das Neue Testament auf 456 Seiten, ein Paperback nur, aber dafür umsonst, verteilt von ein paar Christen, die aus Schwabing vors Prinzregententheater gekommen sind. Sie liefern quasi das Textbuch für den musikalischen Gottesdienst, den die Hagen hält, weil sie ja jetzt fromm ist und evangelisch getauft.
Einigen im Publikum hat sie schon beim Kirchentag gepredigt. Jetzt singt sie. Drei Ehen sind Nina Hagen (55) kaputt gegangen, der Mann an ihrer Seite ist jetzt „Personal Jesus“. So hat sie ihr neues Album genannt und interpretiert nun beherzt Gospels zwischen Blues und Country. Schwarze Haare, schwarzes Kleid um die immer und immer noch schmaler werdende Taille, die Gitarre auf dem Schoß und „Help Me“ von Elvis intonierend: So stellt sich der böse Beobachter Dolly Parton nach einem Zimmerbrand vor.
Sie will „Gitarren statt Knarren“ und bekommt sie auch. Die zwei Gitarristen ihrer Fünf-Mann-Band leisten so solide Arbeit wie die Hohepriesterin der Abstrusität mit ihrem „We Shall Overcome“ und dem inbrünstigen „Ave Maria“, das sie in der Zugabe durch Beimengung eigener Textfragmente schändet.
Zwischendurch nur wird sie weltlich, wenn sie sich Gershwins „Summertime“ leiht oder Gott kurzzeitig durch Johann Wolfgang von Goethe ersetzt: „Ein Veilchen auf der Wiese stand“, trällert sie und geht lustvoll zu Boden: „Es war geil, ein Veilchen zu sein.“
Bestimmt. Aber das war früher.
Michael Schilling