"Gier" in der ARD: Großer Wirbel, schwacher Wedel

Die ARD zeigt am Donnerstag den zweiten Teil von „Gier“: Trotz eines aktuellen Themas, bester Besetzung und einer riesigen Medienkampagne hält der Filmemacher nicht, was er selbst verspricht.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Die ARD zeigt am Donnerstag den zweiten Teil von „Gier“: Trotz eines aktuellen Themas, bester Besetzung und einer riesigen Medienkampagne hält der Filmemacher nicht, was er selbst verspricht.

Er tut es auch diesmal wieder: Wedel schimpft auf die TV-Macher. „Flachsinn hat Hochkonjunktur“, sagt er. Bei den Öffentlich-Rechtlichen sei die Quote wichtiger als die Qualität. Wedel schimpft – auch wieder – auf die Zuschauer. Im Qualitätsblatt „Super Illu“ wettert er gegen das niveaulose Publikum. „Wenn ein Publikum zu faul zum Kauen ist, darf ich ihm nicht immer nur Breichen servieren, weil ihm sonst die Zähne ausfallen.“

Dieter Wedel versteht es, Aufmerksamkeit zu erregen, besonders wenn er einen Film zu verkaufen hat, wie jetzt den Zweiteiler „Gier“ um einen Anlagebetrüger. Im Grunde macht er das seit Jahrzehnten so - mit solchen Sprüchen, mit Streitereien, die öffentlich ausgetragen werden, mit Frauen. Früher hat er allerdings darüber hinaus auch zurecht Aufmerksamkeit mit seinen Filmen erregt. Heute ist der Wirbel größer denn je, der Wedel dahinter aber schwächer denn je.

In den 70ern liebten die Zuschauer seine tapferen Semmelings, die ein Eigenheim als die Krönung der deutschen Glückseligkeit ansehen, sich dafür krummlegen und immer wieder auf die Schnauze fallen. Damit traf er die Seele von Millionen Häuslebauern und denen, die allein vom Bauen nur träumen können.

In die größere Welt nahm er die Zuschauer mit dem „Großen Bellheim“ mit, einem Wirtschaftskrimi, in dem die ältere Generation es den Jungen, Glatten mal so richtig zeigt. Wedel hatte starke Charaktere, wie Adorf als Bellheim. Er hatte Sinn für gute Stoffe – auch wenn Plagiatsvorwürfe sein Schaffen ebenfalls seit Jahrzehnten begleiten. Und er hatte immer gute Schauspieler. Die hatte er entweder selbst entdeckt oder deren Karrieren erlebten nach einem „Wedel“ einen großen Schub. Wedel schaffte es noch bis Ende der Neunziger, so etwas wie ein kollektives Fernseherlebnis zu erzeugen, über seine Mehrteiler wurde in der Kantine gesprochen.

In Zeiten der Spartenkanäle und des Zappings ist das System Wedel ins Wanken geraten. Seit dem komplizierten, überkonstruierten Sechsteiler „Die Affäre Semmeling“ 2002, der nach dem ersten Teil einbrach, darf er keine Sechsteiler mehr machen. Zweiteiler liebt er immer noch.

Auch macht Wedel sich und sein Werk wieder zum Gesprächsthema. Der Regisseur klapperte die Talkshows ab und er bezichtigte passend zu seinem Stoff um einen Anlagebetrüger eine Schweizer Bank, ihn betrogen zu haben – die Bank droht mit Klage.

Als hätte Wedel Angst, das würde an Beachtung noch nicht reichen, warf er diesmal pünktlich seine Autobiografie auf den Markt – exklusiv vermarktet von einem anderen großen Qualitätsblatt, das überraschenderweise nicht seinen beruflichen Werdegang herausstellte, sondern seine Frauengeschichten.

Der 70-Jährige breitet dort sehr frei nach Sigi Sommers „Meine 99 Bräute“ seine Liebschaften und Beziehungen aus, die er neben seiner Hauptfrau pflegte und pflegt – mit Details zu Beischlaf-Lokalitäten und der Entstehung ungeplanter Kinder. Hannelore Elsner, die Mutter einer seiner Söhne, verklagt ihn nun wegen dieser Indiskretionen – und so landete Wedel in der Trash-Abteilung anstatt im hohen Feuilleton.

Dabei wäre Schmuddel-PR eigentlich gar nicht nötig gewesen. Denn Wedel hat immer noch einige Stärken von früher.

Erstens: Er hat den Sinn für den Stoff. „Gier“ erzählt die Geschichte eines „Finanzjongleurs“: Die Leute investieren bei ihm in der Hoffnung auf Riesenrenditen, doch er investiert gar nicht, sondern zahlt mit dem Geld des nächsten Investors seine Kunden aus – ein Schneeballsystem, das zwangsläufig irgendwann auffliegt. In Zeiten der Finanzkrise ist die Geschichte um die Profitgier der Reichen und die Luftblase aus geliehenen Millionen hochaktuell.

Der verurteilte Betrüger Jürgen Harksen ist Vorbild für Wedels Helden Dieter Glanz. Der Autor und Regisseur hatte ihn interviewt und sagt, er hätte die Geschichte nur angelehnt und viel dazuerfunden. Harksen behauptet, das sei sein Leben – womit auch der Wedeltypische Klau-Verdacht gegeben wäre.

Zweitens: Er hat top Schauspieler. Anders als viele andere Regisseure darf er seine Rollen selbst besetzen und davon versteht er was. Ulrich Tukur ist der exzellente Hauptdarsteller.

Er hat prominente Publikumsmagneten wie Uwe Ochsenknecht, Kai Wiesinger und Harald Krassnitzer. Er hat interessante Frauen wie Jeanette Hain und Sibel Kekilli. Und er hat mit Devid Striesow einen den besten Charakterdarsteller, die es derzeit in Deutschland gibt. Das ist viel. Dazu kommt noch, dass die ARD-Tochter Degeto ihm üppige Drehorte zur Verfügung stellte.

Aber das reicht nicht. Selten wurden Schauspieler so unterfordert wie in „Gier“. Wedel steigt in die Geschichte ein, als Glanz schon ganz oben ist – der Aufstieg vom kleinen Gerichtsvollzieher-Gehilfen zum Finanz-Star bleibt im Dunkeln. Tukur macht seine Sache gut, aber in zweidreiviertel von drei Stunden muss er die gleiche Masche geben, da geht selbst ihm die Luft aus. Schlimmer noch ergeht es seinen Mitspielern: Devid Striesow plagt sich als blasser Immobilienkaufmann, der, obwohl glücklich verheiratet und ganz ordentlich bezahlt, von den ganz großen Millionen träumt und von den sich peinlich gebarenden Reichen so angetan ist. Warum eigentlich? Wir wissen es nicht, Wedel wohl auch nicht, zumindest erzählt er es uns nicht.

Dieter Glanz’ Ehefrau, gespielt von Jeanette Hain, bleibt drei Stunden lang Statistin. Aus regelrechten Fratzen besteht schließlich die Clique der Reichen, die Dieter Glanz umgibt, und die er immer wieder vertröstet. Sie feiern, tanzen und saufen, irr und dekadent, und das den ganzen Film über. Pool, Hummer und Alkohol auf Mallorca. Hummer, Alkohol und Pool in Südafrika.

Die Szenen gleichen sich, auch wenn die Männer untereinander die Frauen tauschen, die Menschen dahinter bleiben unerkennbar. Die Handlung befindet sich in der Wiederholungsschleife – bereits nach einer halben Stunde steht sie nahezu.

Die Erwartungen an Wedel sind hoch – er hat aber auch jede Menge Vorschusslorbeeren. Millionen schalten nur ein, weil es ein Wedel ist. Wer nach den ersten 90 Minuten den zweiten Teil (heute, ARD, 20.15 Uhr) noch anschaut, tut das womöglich aus der puren Verzweiflung heraus, dass doch bestimmt noch etwas passieren muss bis zum Schluss. „Gier“ ist schlicht langweilig. Und das ist und bleibt die Todsünde des Filmemachens, auch für den selbsternannten Hüter der Qualität.

Tina Angerer

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.