Gesichter des Lärms

Der Maler Guido Sieber und Autor Franz Dobler legen mit „Rock’n’Roll Fever“ im Edel-Verlag eine farbensatte, bös-verliebte Sittengeschichte der Popmusik vor
von  Abendzeitung

Der Maler Guido Sieber und Autor Franz Dobler legen mit „Rock’n’Roll Fever“ im Edel-Verlag eine farbensatte, bös-verliebte Sittengeschichte der Popmusik vor

Sie posiert zwischen ihren großväterlichen Eltern fürs Familienfoto. Die Gesichtszüge fleischig schwer, wie die Alten. Aber zum schwarzen Kleid mit weißem Kragen trägt sie Buddy-Holly-Brille und Pilzkopf. Und da ist dieser Anstecker: „I’m a Beatles fan. In case of emergency call Paul or Ringo“.

Guido Siebers Bilder in dem großformatigen Band „Rock’n’Roll Fever“ sind von zupackender, bösartiger Liebe, als hätte man Otto Dix gebeten, eine Sittengeschichte des besten Lärms der Welt zu malen. Hank Williams: ein Bote des Todes unter dem weißen Cowboyhut. Pat Boone, der „durchgeknallte Christ und Saubermann“, eingekeilt von feist und rosa gerüschten Horrorkindern. Michael Jackson – eine zerfallende Hauthülle mit todbraunen Augen.

Der deutsche Cowboy Franz Dobler lässt einen konzentriert anekdotenlastigen Geschichtsabriss auf der Basis von kiloweise Sekundärliteratur um die Bilder fließen. Im Wesentlichen reicht der bis Anfang der 70er. Hier ist Raum für die Vergessenen und Spezialhelden wie den Surfgitarrenrocker Dick Dale.

Gerüchte und Fakten

Eingeführt wird man in die Las-Vegas-Mafia-Connection um den topkriminellen Vegas-Gründer Benjamin ,Bugsy’ Siegel und Cosa-Nostra- und New-York-Boss Charles ,Lucky’ Luciano. Frank Sinatra war mit den Herren recht dick. Frankie, Dean Martin und andere hatten ihre Beschützer. Als Dank gab es Sonntagsvorstellungen für die feine Gesellschaft: „Die schmutzigen Witze wurden gestrichen, ohne dass es jemand verlangt hätte. Man wusste, was sich gehört.“ Auch wenn Dobler ehrenwerterweise Gerüchte sauber von Fakten trennt – natürlich lebt selbst dieser Sound der Rockverächter von Verdrogung und Verschwörung.

Es ist mitnichten die Abrechnung die Sieber und Dobler treibt. Populäre Musik ist ein Milieu der Ausgestoßenen, und es gibt etwas, das die pickelkreischenden Fans mit den kneipenbleichen Stargesichtern, die zu viel gesehen haben, verbindet. Ein Glaubensgrundsatz, den stellvertretend für über ein halbes Jahrhundert heiligen Lärm Leonard Cohen in „Chelsea Hotel No. 2“ formuliert hat: „We are ugly but we have the music.“

Christian Jooß

Guido Sieber / Franz Dobler: Rock’n’Roll Fever, Edel, 224 Seiten, 39,95 Euro

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