Geschenk oder Beute
In der Kunstwelt ist die Eigentumsfrage häufig ein Problem – auch in München
Die 3500 Jahre alte Büste der Nofretete ist weder Raubkunst noch Kriegsbeute. Die Fundstücke aus Echnatons Stadt Achetaton wurden nach geltendem Recht zwischen Deutschland und Ägypten geteilt. Dass die Bedeutung des Stücks 1913 vom Archäologen Ludwig Borchardt erkannt wurde und von der Gegenseite nicht, wurmt die Ägypter seit langem. Aber Vertrag ist Vertrag.
Der ägyptische Antikenchef Zahi Hawass neigt dazu, die Büste der Nofretete mit den zahllosen Objekten in Verbindung zu bringen, die bei Ausgrabungen in Ägypten geklaut oder sonstwie unrechtmäßig außer Landes gebracht wurden. „Sie ist ein Teil von Ägypten. Sie gehört mehr nach Ägypten als nach Deutschland“, sagt Hawass.
Wenn man diese Position zu Ende denkt, müssten auch Münchner Privatsammler und das Völkerkundemuseum gezwungen werden, Stammeskunst aus Afrika durch bayerische Volkskunst zu ersetzen. Aber von Dürers Aposteln abgesehen, haben fremde Kunstgegenstände in München noch keinen Hawass gefunden. Ohne den Weihnachtsfrieden stören zu wollen, sei der Hinweis erlaubt, dass München im 30-jährigen Krieg von den Schweden geplündert wurde. Einiges soll noch in Stockholmer Museen verstauben. Dafür hat Kurfürst Maximilian I. die Stuttgarter Kunstkammer ausgeraubt. Die von den Türken eroberte Fahne, die lange in der Frauenkirche hing, ist schon im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Aber es gibt noch ein paar umstrittene Objekte.
Robert Braunmüller
Bei Nichterfüllung Despect
Von den zu ewigen Bayern verdammten Franken immer wieder gern gefordert: „Die Rückführung der nach München verbrachten fränkischen Kulturgüter.“ Dass die fränkischen Mannen an ihrem Herzogsschwert hängen, das nach der Säkularisation „verschleppt“ wurde und heute in der Münchner Residenz liegt, ist verständlich: Es diente als Insignie der weltlichen Macht im Fürstbistum Würzburg. Auch Dürers „Vier Apostel“ aus der Alten Pinakothek fordern geschichtsbewusste Landtagsmitglieder aus dem Bratwürstl-Paradies immer zurück. Die Bilder ließ sich 1627 Kurfürst Maximilian I. vom Nürnberger Rat mit der Warnung schenken, er nähme im Fall der Nichterfüllung seines Wunsches „einen sondern hohen Despect“. Die Räte versuchten die Herausgabe noch zu verhindern, indem er darauf hinwies, dass die Zitate aus der Lutherbibel unter den Figuren im katholischen München Anstoß erregen würden. Dieses Problem löste der Kurfürst, indem er die Schrift absägen und nach Nürnberg zurücksenden ließ.
Paul Klees Sumpflegende
Raubkunst oder nicht? Um Paul Klees „Sumpflegende“ von 1919 wurde ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen den Erben und der Stadt München geführt. Das Ehepaar Sophie und Paul Erich Küppers hatte das Gemälde im Entstehungsjahr erworben. Es wurde zu einem komplexen Fall von NS-Raubkunst. Sophie Küppers’ Sohn aus zweiter Ehe, Jen Lissitzky, war 1993 mit einer Klage auf Herausgabe des Bildes gescheitert. Auch 2009 lehnte OB Christian Ude die Herausgabe ab, da „auf Werke der so genannten ,Entarteten Kunst’ das Washingtoner Abkommen keine Anwendung finde“. Die Frage des „gutgläubigen Erwerbes“ spielt da eine Rolle und der Ablauf der Verjährungsfristen. Sophie Küppers hatte das Bild 1926 dem Museum Hannover als Dauerleihgabe überlassen. Dort beschlagnahmten es die Nazis für die „Entartete Kunst“-Schau in München 1937. In den Kunsthandel kam es 1941. Inwieweit muss dafür die Landeshauptstadt geradestehen? Erst 1982 hat sie das Bild mit der Gabriele-Münter- und Johannes-Eichner-Stiftung erworben. In dieser Besitzkonstellation (mit Beteiligung einer privaten Stiftung) gelten weder die Washington-Prinzipien noch die Selbstverpflichtung der Rückgabe. In der Debatte wird allerdings oft „Moral gegen Recht“ gestellt.
Beutekunst aus dem Rheinland
Die Beute: Rund 240 fantastische Gemälde von van Dyck, Raffael, Rembrandt, Reni, Rubens und Tintoretto. Seit Eröffnung der Alten Pinakothek 1836 sind „Johann Wilhelms Bilder“ zu bestaunen. Aus Sicht der Düsseldorfer ist die Sammlung „Beutekunst“ – welche die Wittelsbacher 1799 aus dem Rheinland, angeblich aus Sicherheitsgründen, abzogen.
Johann Wilhelm (1658 – 1716) gehörte zur Pfälzer Linie der Wittelsbacher. Der spätere Kurfürst der Pfalz versuchte im spanischen Erbfolgekrieg eifrig, aber letztlich vergeblich, sich im Spiel der Mächte zu behaupten. Politisch war „Jan Wellem“ weniger bedeutend denn als Kunstsammler. Weil seine zweite Ehe kinderlos blieb, erbte Bruder Karl Philipp die Kunst – und nahm einen Teil der Sammlung mit ins Mannheimer Schloss. Nach dem Tode Kurfürst Karl Theodors 1799 kam sie nach Bayern. Dass die „Bilderfrage“ juristisch zugunsten Bayerns entschieden wurde, war sogar Bestandteil des Staatsvertrages 1870 zur Gründung des Deutschen Reiches.
Türkische Kanonen
Beutekunst hat meist etwas mit Krieg zu tun, so auch beim Obelisk am Karolinenplatz: Als Mitglied des Rheinbunds musste Bayern unter Max I. Joseph Truppen für Napoleons Russlandfeldzug 1812 stellen. Nur 2000 der 30000 Mann kehrten zurück. Bereits 1813 wandte sich Bayern gegen Frankreich und nahm an den Befreiungskriegen teil. 1833 ließ Ludwig I. zum Gedenken den Obelisken errichten. Die Bronze stammt angeblich von Geschützen türkischer Kriegsschiffe, die 1827 im Seegefecht bei Navarino versenkt worden waren. Die Seeschlacht war eine wichtige Station zur Unabhängigkeit Griechenlands, dessen erster König Ludwigs I. Sohn Otto 1832 geworden war.
Roberta De Righi