Gescheiterte Revolutionen

Salzburg: Katie Mitchell inszeniert Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“. Klaus Zehelein ist der dramaturgische Berater
von  Abendzeitung

Salzburg: Katie Mitchell inszeniert Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“. Klaus Zehelein ist der dramaturgische Berater

In seinem Büro im Prinzregententheater hängt eine handschriftliche Skizze Luigi Nonos zu „Al gran sole carico d‘amore“. 1978 war Klaus Zehelein Dramaturg der Frankfurter Produktion von Michael Gielen und Jürgen Flimm. Der Letztere leitet heute die Salzburger Festspiele. Am Sonntag hat die „Azione scenica“ in der Felsenreitschule Premiere. Zehelein hat an der Aufführung in der Regie von Katie Mitchell beratend mitgewirkt.

AZ: Herr Zehelein, warum heißt das Werk „Szenische Aktion“ und nicht Oper?

KLAUS ZEHELEIN: „Al gran sole carico d‘amore“ – zu deutsch „Unter der großen Sonne von Liebe beladen“ – hat keine Handlung. Der Text, den Nono selbst zusammengestellt hat, besteht aus Einzelmomenten unterschiedlicher Art. Darunter sind Gedichte, Dialoge, Reflexionen.

Wer kommt da zu Wort?

Vor allem Frauen, die gescheiterte Revolutionen erlebt haben: Zum Beispiel Louise Michel, die sich für die Pariser Commune einsetzte, Gorkis und Brechts Mutter der versuchten russischen Revolution von 1905 oder die mit Che Guevara getötete Tanja Bunke. Aber auch Cesare Pavese, Arthur Rimbaud, Marx, Lenin werden zitiert.

Wirken die beiden Letzteren bei den Salzburger Festspielen nicht frivol?

Nono hat keine Parteimusik komponiert, wie es anderen Komponisten passiert ist. Er war sich bewusst, dass gelungene Revolutionen in Terror umschlagen können. „Al gran sole“ ist ein Requiem in Form einer Vergegenwärtigung unserer Vergangenheit.

Was macht ein Dramaturg bei diesem Stück?

Ich habe mich mit den verschiedenen Momenten auseinandergesetzt, die das Stück berührt, angefangen von der Commune zur gescheiterten russischen Revolution von 1905 bis zu den Generalstreiks in Turin. Das muss mit dem Dirigenten und der Regisseurin durchgearbeitet werden, der Dramaturg leistet dazu die Vorarbeit.

Sie wurden also zum Experten für Revolutionen?

Recherche ist eine Hauptaufgabe des Dramaturgen. Wer Tschaikowskys „Eugen Onegin“ vorbereitet, muss sich auch mit Momenten der russischen Literatur und Geschichte auseinandersetzen. Ich habe bis jetzt aber nur über den Text gesprochen.

Wie haben Sie die Musik analysiert?

Wir haben uns gefragt, welche kompositorischen Techniken Nono einsetzt, wie er mit diesen Möglichkeiten umgeht, wie das Verhältnis von Sprache und Musik zu beschreiben ist etc. Am Ende entsteht dann in der Aufführung jenseits des musikalischen und literarischen Texts etwas Drittes, das ich Überschreibung nennen möchte.

Dass die Wiener Philharmoniker Nono spielen, überrascht.

Dieses Orchester kann sehr viel. Nono gehört mittlerweile zu der Literatur, die gespielt werden muss. Das wissen heute hoffentlich alle Musiker. Ich bin viel mehr gespannt, wie der Wiener Staatsopernchor mit dem Coro grande und dem Coro piccolo umgeht. Es gibt da blockhaft homophone Sätze zu Texten aus Brechts „Tagen der Commune“, aber auch andere Passagen, die äußerst schwer zu singen sind.

Wie hat sich das Stück seit 1978 für Sie verändert?

Schon die Aufführung in Stuttgart, die wir mit Lothar Zagrosek und Martin Kušej zwanzig Jahre später erarbeitet haben, kam einer Neustrukturierung der Perspektiven gleich. Das ist wiederum zehn Jahre her. Ähnlich ihrer zum Berliner Theatertreffen 2008 eingeladenen Inszenierung von Franz Xaver Kroetz‘ „Wunschkonzert“ arbeitet Katie Mitchell mit heutigen Medien, um entfremdetes Dasein darzustellen und Vergangenheit zu vergegenwärtigen. Das wird eine ganz andere Aufführung als damals in Frankfurt oder in Stuttgart.

Robert Braunmüller

Felsenreitschule, 2., 6,. 9., 14. 8., Karten: Tel. 0043 662 8045500

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