Gepokert und geblufft
Nun schlägt die Stunde der Bedenkenträger: Dieter Borchmeyer nennt die Pläne für einen Konzertsaal im Marstall „einen Akt der Barbarei“, Christian Ude erwägt, für eine Gasteig-Renovierung die Spendierhosen anzuziehen.
Hätte es 1810 schon Denkmalschützer gegeben, stünde statt des Nationaltheaters heute noch ein Franziskanerkloster am Max-Joseph-Platz. Es gäbe auch keinen die barocke Residenz erweiternden klassizistischen Königsbau, in dessen oberstem Geschoss heute die Bayerische Akademie der Schönen Künste residiert.
Deren Präsident ist Dieter Borchmeyer. In einem offenen Brief nennt er die neuerdings von Ministerpräsident Seehofer unterstützten Ideen für einen Konzertsaal-Anbau an den Marstall einen „Akt der Barbarei“, mit dem Leo von Klenzes Marstall-Gebäude entstellt werden soll.
„Es ist vollkommen unverständlich und inakzeptabel“, schreibt Borchmeyer, „dass ein architektonisches Juwel ruiniert werden soll, um einen Konzertsaal zu gewinnen, dessen Sinn und Notwendigkeit für München umstritten ist, der aber auf keinen Fall um den Preis der Zerstörung eines herausragenden Baudenkmals verwirklicht werden darf.“
Droht ein Zwitter?
Der klassizistische Marstall würde nach Borchmeyers Worten durch einen Anbau zu einem „Zwitter“ verunstaltet. Die Verantwortlichen seien aufgerufen, „die Planung zu einem Konzertsaal in dieser Form und an diesem Ort nicht weiter zu verfolgen“.
Ist es ein Zufall, dass die Marstall-Skeptiker Christian Thielemann und Dieter Dorn Mitglieder der Akademie sind, Mariss Jansons aber nicht? Borchmeyer hat auch keinen Vorschlag zur Zukunft des Gebäudes der ehemaligen Hofreitschule, das „in der Vergangenheit nicht immer seinem ästhetischen Rang gemäß genutzt wurde“.
Gleichberechtigung der Orchester im renovierten Gasteig
Der wegen des bis 2030 abzustotternden Gasteig-Kulturzentrums naturgemäß marstall-skeptische Christian Ude befürchtet wie Borchmeyer „Überkapazitäten“, die „alle miteinander höchst defizitär sind“. Der OB setzt auf „gemeinsame Anstrengungen“ von Staat und Stadt für eine Renovierung des städtischen Konzertsaals, in dem BR-Symphonieorchester und die Philharmoniker „gleichberechtigten Zugang zu den Terminen“ erhalten sollen.
Ude stellt neuerdings einen „hohen zweistelligen bis sogar dreistelligen Millionenbetrag“ für eine grundlegende Gasteig-Optimierung in Aussicht. Voraussetzung seien aber klare Absprachen in Sachen Marstall, zu dessen Finanzierung samt Folge- und Betriebskosten kaum realistische Vorstellungen existieren. Es wird also gepokert. Nun sind die Marstall-Fans wieder am Zug.
Robert Braunmüller
Dieter Borchmeyers offener Brief im Wortlaut
Lange hat es so ausgesehen, als ob der Ideenwettbewerb „Kulturobjekt Marstall“, der im September 2007 zugunsten des Konzertsaal-Entwurfs von Axel Schultes und Charlotte Frank entschieden wurde, in der Versenkung verschwunden wäre, da Finanzminister Kurt Faltlhauser, der das Projekt entschieden förderte, 2008 aus der Regierung ausschied und der neue Minister für Kunst und Wissenschaft, Wolfgang Heubisch, dem Vorhaben keine Priorität zumaß. Durch die Erklärung von Ministerpräsident Horst Seehofer – „Ich möchte dieses Projekt“ – wird es jedoch neuerdings wieder aus der Versenkung heraufgeholt. Es ist daher dringend erforderlich, zu dem Wettbewerbsergebnis Stellung zu nehmen und die Öffentlichkeit auf die architektonischen, denkmalpflegerischen, städtebaulichen und allgemeinen kulturellen Konsequenzen dieser Planung hinzuweisen.
Der von Leo von Klenze entworfene Marstall ist einer der bedeutendsten Bauten dieses großen Architekten, der München wie kaum ein anderer geprägt hat. Nach schweren Verlusten im Weltkrieg zählt der Marstall neben der Glyptothek und der Alten Pinakothek zu den nicht gerade zahlreich erhaltenen Meisterwerken Klenzes. Auch wenn das großartige Gebäude nicht immer seinem ästhetischen Rang gemäß genutzt wurde, ändert das nichts an seiner herausragenden Bedeutung und prominenten Stellung in der Architektur des 19. Jahrhunderts. Der Marstall ist im Zusammenhang der Residenz als freistehendes, allseitig wirkendes Bauwerk konzipiert worden und bestimmt deshalb durch seine Dimension und Symmetrie die gesamte Umgebung.
Daß an eine Architektur dieser Bedeutung ein Anbau über die ganze Längsseite angefügt werden soll, kann nur als ein Akt der Barbarei bezeichnet werden. Genausogut könnte man vorschlagen, um einer eventuell notwendigen Erweiterung der Pinakothek willen doch einfach das Gebäude zu verdoppeln. Es ist vollkommen unverständlich und inakzeptabel, daß ein architektonisches Juwel ruiniert werden soll, um einen Konzertsaal zu gewinnen, dessen Sinn und Notwendigkeit für München umstritten ist, der aber auf keinen Fall um den Preis der Zerstörung eines herausragenden Baudenkmals verwirklicht werden darf.
Schon die Jury, in der die Denkmalpflege kein Stimmrecht hatte, merkte in ihrem Bewertungstext kritisch an, daß durch den geplanten Konzertsaal „die direkte räumliche Verbindung zwischen dem Franz-Josef-Strauß-Ring und der Marstallbebauung Süd verstellt und die Solitärwirkung des Marstalls beeinträchtigt wird“, ja daß „die historisch-städtebauliche Dominanz“ des Bauwerks aufgegeben und die ursprüngliche Raumwirkung „verzeichnet“ würde. Um so unverständlicher ist es, daß es überhaupt zu einer Prämierung dieses nur als Desaster zu bezeichnenden Entwurfs kam.
Der klassizistische Marstall würde durch einen Anbau zu einem Zwitter verunstaltet und die gesamte städtebauliche Situation zwischen Residenz, Maximilianstraße und Altstadtring gravierend beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß im Auslobungstext Ziffer 8.1 festgelegt wurde, daß „eine unmittelbare Beauftragung eines der Preisträger oder Teilnehmer des Ideenwettbewerbs ausgeschlossen ist.“ Daß das Projekt von Schultes und Frank einfach zur Ausführung bestimmt wird, ist somit juristisch ausgeschlossen.
Die Bayerische Akademie der Schönen Künste fordert die Verantwortlichen auf, im Interesse der Kunst und Kultur in München die Planung zu einem Konzertsaal in dieser Form und an diesem Ort nicht weiter zu verfolgen. Ob München überhaupt einen dritten großen Konzertsaal braucht und ob nicht durch den Umbau der Philharmonie im Gasteig die drängenden Konzertsaalprobleme in München gelöst werden können, das soll in einer Podiumsdiskussion der Bayerischen Akademie der Schönen Künste im März erörtert werden.
Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Borchmeyer, Präsident, 28. Januar