„Geigers Spuren sind überall“
In den Reaktionen auf den Tod des berühmten Malers ringen alle um Fassung – OB Ude bekennt, schon als Bub seine Plakate aufgehängt zu haben, Helmut Friedel berichtet vom Totenbett
Bei einem Menschen von 101 Jahren kann die Nachricht vom Ende seines Lebens niemanden völlig überraschen. Doch bei Rupprecht Geiger ist die Kunststadt München geschockt. Einen Tag, nachdem sein Tod vom Sonntag bekannt wurde (AZ berichtete), ringen Freunde und Bewunderer um Fassung.
Lenbachhaus-Direktor Helmut Friedel unterbrach im Rathaus seine Programm-Präsentation und sagte sichtlich bewegt: „Der große Maler Münchens ist gestorben.“ Noch vor wenigen Wochen habe ihm Geiger in seinem Atelier „mit jugendlicher Begeisterung“ von einem neuen Projekt erzählt, eine Farbtonne, in die sich der Betrachter hineinlegen könne. Von der Familie Geigers wisse er, dass der Maler noch in den letzten Momenten seines Lebens gezeichnet habe, „mit der Hand in die Luft“. Nun sei Geiger „von uns gegangen, sozusagen auf dem roten Mantel des Bischofs Nikolaus“.
Die reine Anschauung der Farbe
OB Christian Ude nannte Geiger den „Wegbereiter einer neuen künstlerischen Aufbruchstimmung nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges“. Der OB betonte, dass Geiger seine Spuren überall in München hinterlassen habe, nicht nur an der Oberfläche wie am Gasteig und Hauptbahnhof, sondern auch im Untergrund wie in der U-Bahn und vielen repräsentativen Räumen. Ude hatte „schon als Bub ein kraftvolles Geiger-Plakat im Zimmer hängen“; später habe ihn der berühmte Maler als OB unterstützt. Zum Wahlkampf vor zehn Jahren habe Geiger Ude eine Lithographie beschert – „es ist wohl bis heute einmalig, dass am Altstadtring Geiger-Originale geklebt wurden“.
Für die Akademie der Schönen Künste, an der Geiger Mitglied war, sagte deren Alt-Präsident Wieland Schmied zur AZ: „Für den Umgang mit Farbe, der für einen Maler ja wesentlich ist, hat niemand in Deutschland so viel bedeutet wie Geiger. Er hat die Farbe rein zur Anschauung gebracht.“ Chris Dercon, Direktor im Haus der Kunst, erklärte: „Man darf neben all den wunderbaren Farben nicht vergessen, dass Geiger auch ein visionärer Architekt gewesen ist. Und es ist wunderbar, dass sich seine Familie so sorgfältig um seinen Nachlass kümmert – denn so lebt er für uns weiter.“
Geigers war in München, Rom und Madrid aufgewachsen und hatte Architektur studiert. Nach dem Krieg war er Mitgründer der Gruppe Zen 49 und wurde zu einem der populärsten Vertreter abstrakter Malerei in Deutschland. Seine Farb- und Form-Experimente legten den Grundstein für spätere Welterfolge vor allem amerikanischer Künstler. Seine radikale Monochromie blieb aber unerreicht.
Michael Grill