Geht’s noch dümmer?
Geht schon! Autor Tilman Spengler über den Streit um die Stasi-Verbindung des Ohnesorg-Schützen und seinen Ärger über das modische 68er-Bashing
Nein, noch wird der Birthler-Behörde nicht vorgeworfen, sie behindere auf Druck ehemaliger 68er die Erforschung der Rolle der Stasi beim Aufbau der westdeutschen Protestbewegung vor mehr als vierzig Jahren. Doch so recht überraschen würde der Anwurf nicht.
Seitdem bislang Unbekanntes aus der Biografie des Todesschützen vom 2. Juni 1967 bekannt wurde, schießen die wunderlichsten Theorien und Schuldzuweisungen ins Kraut. Ausgerechnet ein Herr Karl-Heinz Kurras soll im Auftrag der sogenannten DDR den „Startschuss“ zur westdeutschen Protestbewegung gegeben haben? Hier wächst zwischen „Bild“, „Spiegel“ und „FAZ“ zusammen, was sich in Teilen schon lange aneinander schmiegt: alles damals ferngesteuert. Ideologisch sowieso. Aus schwarzen roten Kassen bezahlt, wie manche linke Zeitschrift. Leicht verführbare Schafe, diese Protestler von damals. Organisatorisch im Griff des Warschauer Pakts.
Geht’s noch dümmer? Doch, geht schon. Wer die Leitartikel der bürgerlichen Presse jener Jahre noch im Kopf hat, erinnert sich an die Hypothese, die Bewegung der amerikanischen Hippies sei von Mao durch die kostenfreie Weitergabe von Haschisch aus chinesischen Anbaugebieten kontrolliert worden, um den Amerikanern in ihrem Krieg in Vietnam in den Rücken zu fallen. Wurde gern gelesen, damals.
Dummheit ist weder ein rechtes noch ein linkes Privileg
Intellektuell bewegte sich das auf einem nicht weniger anspruchslosen Niveau als der Glaube mancher Protestler, in der VR China sei gerade das Paradies des Sozialismus ausgebrochen. Dummheit ist nie das Privileg einer einzigen Seite. Aber wer sich dem gerade modischen 68er-Bashing anschließt, möge sich doch bitte nicht nur auf die schillernden Randblüten jener ungelenkten Bewegung kaprizieren. Es gab in diesen Jahren nun weißgott wichtigere Namen als den jenes Amokschützen der Berliner Polizei, der aus welchen Gründen auch immer den wehrlosen Studenten Benno Ohnesorg erschoss.
Es gab in diesen Jahren nun weißgott wichtigere Namen als den jenes Amokschützen der Berliner Polizei, der aus welchen Gründen auch immer den wehrlosen Studenten Benno Ohnesorg erschoss.Für mich, und ich bin da kein Einzelfall, war etwa der Name von Hans Globke, CDU-Staatssekretär unter Adenauer und Kommentator der NS-Rassengesetze, weitaus wichtiger. Wichtiger war, was im Namen der „Freiheit“ in Latein- und in Mittelamerika, in Südostasien und in Afrika angestellt wurde. Zugestanden, auch da standen bisweilen Mysterienspiele auf dem Programm. Mancher mag an seine eigene Wortwahl ungern erinnert werden.
Das ändert nichts daran, dass – im Gegensatz zu den Jahren davor – politisches Einmischen in der Bundesrepublik als Bürgerrecht wahrgenommen wurde. Ein konspirativer Trick der sogenannten DDR? Auch die weiland „Schutzengel des Kaisers", vulgo die Prügelperser, hätten, ihrer Schlagtechnik nach zu urteilen, sowohl von der Stasi ausgebildet sein können, wie vom Verfassungsschutz der BRD, amerikanischen Aufbauhelfern oder den Foltervirtuosen irgend einer anderen Macht.
Der modische Rückmarsch
Für die gegenwärtige Stimmung im Lande, dem klammheimlichen Marsch zurück in die 50er Jahre, ist die Enttarnung des Mannes, der sich zum „größten Stillschweigen“ verpflichtete, naturgemäß ein Fall von Doppelglück: Der Rechte (Karl-Heinz Kurras) war eigentlich links (eben in der SED), mithin ist die Linke auf eine Inszenierung aus ihren eigenen Reihen hereingefallen. Besser hätte es die damalige Besatzung von „Bild“ auch nicht nach- oder vorstellen können. Aber warum soll ein offensichtlich psychisch instabiler, von Psychologen als „aggressiv“ eingeschätzter Waffennarr nicht Diener zweier Herren gewesen sein? Und was, bitte, hatten die Demonstrationen gegen den Herrscher auf dem Pfauenthron mit einer Unterstützung für die SED zu tun?
Meinen linken Freunden und mir stand damals die SED so nahe wie heute, vermute ich, Frau Merkel die NPD. Klar, es kommt schlichten Gemütern entgegen, wenn „links“ mit der DDR identifiziert wird. Davor bewahre uns Pisa. Aber der Name Globke als Synonym für das Fortleben einer Gesinnung – und den Protest dagegen – wird längeren Bestand haben als der Name von Karl-Heinz Kurras.
Tilman Spengler