Geglättete Geschichte

Patriotismus für 35 Millionen Euro:Das Filmfestival in Venedig eröffnet mit Giuseppe Tornatores üppigem Bilderbogen über Sizilien im 20. Jahrhundert
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Patriotismus für 35 Millionen Euro:Das Filmfestival in Venedig eröffnet mit Giuseppe Tornatores üppigem Bilderbogen über Sizilien im 20. Jahrhundert

Bevor ihn überhaupt jemand sehen konnte, hat er den Film schon eingeordnet: „Ein Meisterwerk!“, verkündete kein geringerer als der Cavaliere, Ministerpräsident Silvio Berlusconi, und meinte den italienischen Eröffnungsfilm am Lido von Giuseppe Tornatore, einem Regisseur, der verspricht, das Kino zum Paradies machen zu können.

Aber „Baarìa“ wurde nur ein nettes Fegefeuer. Die im Saal des Palazzo del Casinò Eingeschlossenen saßen zweieinhalb Stunden eine mit Nettigkeiten langweilende folkloristische Nummernrevue über die Geschichte Siziliens ab. Immerhin luxuriös ausgestattet und rund 35 Millionen Euro teuer.

Abwechslung boten nur die Wiedererkennungseffekte der Gastauftritte aller Italo-Stars: Luigi Lo Cascio, Enrico Lo Verso, Michele Placido und kurz durfte auch Monica Bellucci mit Zauber-Erotik durchs Bild laufen.

Das "Meisterwerk" stammt aus Berlusconis Filmfirma

Mit diesem Aufgebot hat Marco Müller geschickt die Eröffnungsgala patriotisch gerettet. Und für die Weltläufigkeit des Festivals sind schließlich Werner Herzog, Nicolas Cage und Charlize Theron schon da, was Festivaldirektor Müller veranlasste klarzustellen: „Mitten in der Krise wollen alle kommen. Das ist der Beweis, wie vital der Film-Löwe am Lido ist!“

In der Pressevorführung wurde „Baarìa“ allerdings gemischt aufgenommen: Giuseppe Tornatore erzählt elegisch die Lebensgeschichte eines armen Sizilianers in einer Kleinstadt – als Junge im Faschismus, als junger Mann Aktivist für die Kommunistische Partei und als Familienvater ein milder Pragmatiker.

Allein die in Sizilien nicht ganz unerhebliche Mafia wird als Thema ausgespart, die Armut ist verkitscht und die überzuckerten Familienbilder sind mit einer unfassbar übersteigerten Morricone-Musik überfüttert. Das rührt zwar in einem Land, das erst seit 25 Jahren einen schnellen Transformationsprozess von einer ländlich geprägten zur aggressiv-modernen Gesellschaft macht. Aber diese alles glättende Sentimental-Nostalgie verärgerte auch viele internationale Kritiker.

Und zwei kleine Schönheitsfehler hatte allein schon die Ankündigung des „Meisterwerkes“ durch Berlusconi gehabt: Die Produktionsfirma von „Baarìa“ heißt Medusafilm und gehört seinem eigenen Medienimperium Mediaset. Außerdem verkündetet die Berlusconi-Regierung vor wenigen Tagen, dass sie den italienischen Kulturetat drastisch kürzen wird.

Adrian Prechtel

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