Gegen Minder- und Mehrheiten

Der deutschtürkische Krawallkabarettist Serdar Somuncu redete im Schlachthof Fraktur
Jasmin Menrad |
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Er spricht oft in Großbuchstaben: „Ich sage allen alles ins Gesicht, ARSCHLOCH”, brüllt der türkischstämmige Deutsche in Fraktur. Die Zuschauer im ausverkauften Schlachthof, die meisten um die Dreißig, wissen, dass sie keine Weichspüler-Comedy erwartet.

Doch es sind weniger die Beleidigungen, mit denen Serdar Somuncu auch sein Publikum nicht verschont, die den Abend mit ihm knallhart machen. Die Härte liegt vielmehr darin, dass er nicht gefällig ist und niemanden verschont: „Schwule Neger” etwa, oder „die Ossis, die den Juden die Arbeitsplätze wegnehmen”. Solche Provokationen sind ein Stilmittel und werden bewusst eingesetzt. Der 42-Jährige ist zu clever, um im bloßen Phrasendreschen und Provozieren zu bleiben. Er hat Musik, Schauspiel und Regie studiert und wurde durch szenische Lesungen von Hitlers „Mein Kampf” bekannt. Im Fernsehen zeigt man den Kabarettisten kaum, dafür sind seine Live-Shows ausverkauft.

„Ich bin neuerdings Prophet”, sagt Somuncu und wettert gegen Minderheiten und Mehrheiten. Dabei zeigt er auf komische, brutale und verletzende Weise auf, wie Menschen die Bilder reproduzieren, die sich andere Menschen von ihnen gemacht haben. „RTL lässt Asoziale Asoziale für Asoziale spielen”, sagt er. „Die Asozialen spielen so, wie sie glauben, dass sie Asoziale spielen müssten.” Plötzlich schreit und tobt er nicht mehr, sondern wird pathetisch und ernst. Besonders die Angst, die lähmt und durch Politik und Medien geschürt wird, treibt ihn um. Somuncu nennt sich „der Hassprediger”. Doch er predigt nicht den Hass, sondern gegen jene, die den Hass nähren. „Wer sich über andere Menschen stellt – egal, ob dick, dumm oder hässlich – ist ein Fascho”, sagt er und erklärt sich selbst dazu. Eine Weiterführung von Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung”, denn auch hier reflektieren die Zuschauer über Mechanismen, denen sie auf den Leim gehen.

In Zeiten des Mittelmaßes erfrischt es, jemanden auf der Bühne zu sehen, der über das Ziel hinausschießt. Wer die Welt durch die Augen des Hasspredigers gesehen hat, wünscht sich unkontrollierter und lauter sein zu können.

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