Gegen des Vaters Schatten

Stratosphärisch: Philippe Jaroussky ist derzeit der brillanteste und stimmgewaltigste unter den in der Alt-Lage singenden Countertenören. Am Samstag gastiert er im Herkulessaal - aber es gibt nur noch Stehplätze.
von  Abendzeitung

Stratosphärisch: Philippe Jaroussky ist derzeit der brillanteste und stimmgewaltigste unter den in der Alt-Lage singenden Countertenören. Am Samstag gastiert er im Herkulessaal - aber es gibt nur noch Stehplätze.

Heute, Samstag, gibt der französische Countertenor Philippe Jaroussky im Herkulessaal sein München-Debüt. Wie auf seiner neuen CD „La dolce fiamma“ singt er Arien aus Opern von Johann Christian Bach (1735-1782), dem (zu) wenig bekannten jüngsten Sohn des großen Johann Sebastian.

AZ: Herr Jaroussky, warum sollten wir diese unbekannte Musik anhören?

Mögen Sie Mozart? Das wäre der beste Grund. Mozart hat diesen Bach geliebt und viel von ihm gelernt. „Welch Verlust für die musikalische Welt!“, schrieb er bei seinem Tod.

Wie klingt dieser Bach?

Er ist die Brücke zwischen Händel und Mozart. Alle suchten damals nach Neuem, es war eine Zeit großer Umwälzungen, ein epochaler Umbruch. Im Vergleich zum Barock komponierte Bach weniger Verzierungen, dafür längere melodische Phrasen. Im Orchester übernehmen die Bläser das Wort und dialogisieren mit der Stimme. Es ist ein eleganter Stil von expressiver Schönheit, sehr raffiniert.

Die Ära der Kastraten neigte sich damals bereits dem Ende zu. Wieso wurden die Arien, die Sie singen, noch für solche Stimmen geschrieben?

Es gab sie schon noch, die großen Kastraten, Carestini und viele andere. Bach und der junge Mozart liebten dieses Stimmfach. Aber es ist schon so eine Art Schwanengesang.

Wie gehen Sie als Countertenor mit diesen Rollen um?

Da muss man sehr demütig und bescheiden sein. Die Kastraten hatten Kraft, eine stupende Kontrolle der Stimme, sie waren brillant, virtuos und in der Höhe offenbar unendlich zart. Und sie konnten – sie waren ja durch die hormonellen Störungen sehr groß – ohne weiteres ein, zwei Minuten ohne zu atmen durchhalten.

Was bedeutet es für die Rollen, die Sie singen?

Manche Kastratenrollen sind mit Frauen meiner Meinung nach besser besetzt, paradoxerweise wirken sie kraftvoller. Mit meiner Stimme kann ich die Jugendlichkeit und Fragilität vieler Figuren besser interpretieren. Gerade in der Zeit von Bach sind die Helden ja zu sehr komplexen Charakteren geworden.

Wie haben Sie Johann Christian Bach entdeckt?

Ich bin zufällig auf eine seiner Opern gestoßen. Dann habe ich alle angesehen. Dabei wurde mir klar: Das ist wunderbare, wichtige Musik. Die meisten Arien sind noch nie zuvor aufgenommen worden. Für einen Interpreten ist das sehr spannend.

Was fasziniert Sie an ihm?

Seine Musik natürlich, aber auch die Biografie. Man erzählt mit so einer Platte ja eine Geschichte. Bach war ein internationaler Star. Und er wollte Neues schaffen. Kurz nach Händels Tod kam er 1762 nach London. Ich habe in der dortigen Nationalgalerie das berühmte Porträt angesehen, das Gainsborough von ihm gemalt hat. Direkt daneben hängt ein riesiger Händel, so 3 auf 4 Meter. Gegen diesen Nachruhm musste Bach sich behaupten. Dazu der Schatten seines Vaters. Aber Bach ist alles gelungen.

Bedeutet die Kastratenzeit eine Grenze für Ihr Fach?

Schon, aber ich habe mit „Opium“ auch eine CD französischer Mélodies aufgenommen aus der Zeit um 1880 bis 1910. Musik, die gar nicht für meine Stimme komponiert ist.

Als Counter kann man nicht nur alte Musik singen, sondern auch Zeitgenössisches. Interessiert Sie das?

Sehr. Es ist aufregend, einen Komponisten am Telefon zu haben! So wie Carestini, den Händel fragt: Kannst du das oder das machen? Es ist auch immer überraschend, wie ein Komponist für mich schreibt, sein Blick auf meine Stimme ist anders als mein eigener.

Wie sieht es mit Oper auf der Bühne aus?

Oper ist eine sehr starke Erfahrung, fundamental für einen Sänger, in diesen vier bis sechs Wochen gemeinsamer, intensiver Arbeit lebt man wie in einer anderen Welt. Aber genau darum möchte ich auch nicht zu viel davon machen.

Sie sind sehr jung und schon ein Star. Was bedeutet das für Ihr Leben?

Es ist bestimmt viel anstrengender, Britney Spears zu sein! Ich falle nicht auf, wenn ich einkaufen gehe. In der klassischen Musik geht es um die Stimme, nicht um die Person.

Worauf freuen Sie sich derzeit besonders?

Ich habe mir vorgenommen, 2013 eine lange Pause einzulegen. Dann bin ich 35 und möchte herausfinden, wie es weitergehen soll. Ich möchte nicht mit 50 aufwachen und mich fragen: Was außer Singen hast du eigentlich gemacht?

Birgit Gotzes

Das Konzert ist ausverkauft, Stehplätze gibt es an der Abendkasse. Die CD „La dolce fiamma“ erschien bei EMI/Virgin

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