Gefangen in der Vampir-Falle
„Twilight“- Autorin Stephanie Meyer legt einen neuen Blutsauger-Roman vor. „Biss zum ersten Sonnenstrahl“ ist die Geschichte einer Randfigur aus dem Lager der bösen Menschenblut-Sauger
Was wäre, wenn Edward, unser Mädchentraum mit Fangzähnen, nicht dem Menschenblut abgeschworen hätte? Hätte unser Identifikations-Mädchen Bella sich nicht trotzdem in ihn verliebt? Die beiden würden in trauter Zweisamkeit vielleicht nicht Elchblut in Kanada nachjagen, sondern Prostituierte aus Seattle aussaugen. So ließe sich die millionen-schwere „Twilight“-Tetralogie von Stephanie Meyer vielleicht düster weiterspinnen.
Da aber solche Schweinereien mit Moralapostel Edward nicht zu machen sind, musste sich Autorin Stephanie Meyer eine andere Figur aus ihrem „Twilight“-Universum (siehe Infokästen) herauspicken, um die dunkle Seite der Vampir-Welt zu schildern. Der neuen Hauptfigur, Bree Tanner, waren in Band drei der Saga nur wenige Zeilen gewidmet. In „Biss zum ersten Sonnenstrahl“ (Carlsen, 15,90 Euro) bläht Meyer die Figur jetzt zu einer Ich-Erzählung von 200 Seiten auf.
Romantik zwischen Unterwelt-Kreaturen – das ist die gewohnte Twilight-Kost auch im neuen Buch: Die 15-jährige Bree Tanner, vor dem gewalttätigen Vater geflohen und am Verhungern, wird für das Versprechen eines Cheeseburgers in die Vampirfalle gelockt. Zusammen mit 20 anderen Blutsaugern ist sie eigentlich nur erschaffen worden, um Bella, die menschliche weibliche Hauptfigur der „Twilight“-Saga, zu vernichten. Aber auch die Erkenntnis, dass sie nur als Kanonenfutter missbraucht wird und auch ihre Liebe zu einem anderen Vampir, können sie nicht vor ihrem Schicksal retten, das alle „Twilight“-Leser schon kennen: Mitglieder der bösen Vampirarmee werden von der Vampir-Polizei in Stücke gerissen und verbrannt.
Die neue Geschichte um eine Vampirin aus der Bösen-Armee hätte spannend werden können. Stephanie Meyer hätte ihre allzu prüde Happy-End-Welt aufbrechen können. Eine Geschichte aus Brees Sicht verspricht aufregende Einblicke in die Jagd auf menschliche Beute. Dieses Pulver ist allerdings bereits auf den ersten Seiten verschossen. Denn auch Bree entpuppt sich als Vampir, der trotz allem fähig ist zu lieben. Sie ist loyale Freundin und scharfe Analytikerin. Beides Eigenschaften, die bei neu erschaffenen Vampiren, die noch ganz von ihrer Blut-Sucht beherrscht werden, eigentlich nicht vorkommen – so zumindest hatte es der Twilight-Leser gelernt.
Doch Bree ist in ihren Grübeleien der weiblich-menschlichen „Twilight“-Protagonistin Bella recht ähnlich: Ein verwirrtes Teenie-Mädchen erlebt die erste Liebe und sucht sich tapfer seinen Weg in einer Welt, in der der Tod nur einen Biss entfernt ist.
Stephanie Meyer – vom amerikanischen Time Magazine zu den 100 weltweit einflussreichsten Menschen gewählt – baut mit „Biss zum ersten Sonnenstrahl“ weiter an ihrem Imperium. Dass in Vampirsärgen Goldgruben schlummern können, ist aus Film, Literatur und Fernsehen längst bekannt. Aber erst Stephanie Meyer ist es mit Softie-Vampiren gelungen, eine (vor allem weibliche) Fangemeinschaft vom Teenie bis zum Mit-Vierzigerin zu begeistern.
In einer Zeit, in der die Shell-Jugendstudie die Renaissance der Familie bei jungen Leuten belegt, trifft Meyer mit ihren Edward-Bella-Typen ins Schwarze der Geborgenheits-Fantasie ohne Sex vor der Ehe. Mit „Biss zum ersten Sonnenstrahl“, hat Meyer jetzt eine Neben-Goldader erschlossen. So wird die Geschichte von Bree nicht der letzte Blutstropfen bleiben, den Meyer ihrem Werk abtrotzt.
Johanna Jauernig
- Themen:
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