Geboren, um zu rocken
„Because The Night“, „Atlantic City“, „The Rising“: Bruce Springsteen und eine tonnenschwereE Street Band zeigen im Olympiastadion, wie sich Energie in Ekstase verwandelt
Zehntausende Arme richten sich zitternd auf wie feine Härchen. Über ihnen hängt die elektrisch geladene Soundwolke. Das Hemd ein nasser Lappen; Spring-steen steht mit geöffneten Armen an der Bühnenrampe, den Körper gespannt gegen die Wucht des Klanges gelehnt. „Atlantic City“. Der Gesang der Masse füllt das Olympiastadion. Energie formt an diesem Abend gigantische Choreografie im Rhythmus.
Sieg durch Mut
Springsteen nimmt sein Publikum an, nimmt es mit, trägt es weiter. Die Sterilität des Stadionrocks, die sich gerne hinter der Bühnenmaschine verschanzt, kann nur durchbrechen, wer sich den Händen seiner Fans ausliefert. Sich ihnen in breiter Grätsche stellt und die Begeisterung brüllend aus sich herausschleudert. Springsteen sammelt Plakate mit Songwünschen ein. „Pretty Woman / So Sexy“ steht auf einem. Keyboarder Roy Bittan, der an diesem Abend Geburtstag feiert, fordert einen Versuch der Roy-Orbison-Nummer „Pretty Woman“. Ungeprobt tastet sich die Band in den Song: ein Sieg durch Mut.
Die E Street Band, das unterscheidet sie von anderen Begleitcombos, besteht nicht nur aus sicheren Musikern, sondern aus Typen mit Kontur. Der kleine Steven Van Zandt, Springsteens immer leicht grimmig wirkender Side-Kick, ein uneitler Schaffer. Nils Lofgren, der sich bei „Because The Night“ in ein spacig übermenschliches Solo schießt. Während er um die eigene Achse kreist und das Instrument wie eine Sirene heult. Max Weinberg, der freundlich bebrillte Drummer, der abgehen kann wie das Animal in der Muppet-Show. Der mächtige schwarze Clarence Clemons im schwarzen Mantel. Ein Unheimlicher, Souveräner, dessen Saxofon sich mit einer Selbstverständlichkeit in die Songs stellt, als würde er sie regieren. Ehefrau Patti ist auf dieser Tour nicht dabei.
Rock mit Hut
Bei „Waitin’ On A Sunny Day“ hat der kleine Junge in der ersten Publikumsreihe, dem Springsteen sein Mikrofon überlässt, den Konzertmoment seines Lebens. „The River“ mit einen Springsteenschen Blues-Harp-Solo, einsam intim. „Kingdom Of Days“, ein Rock-Song, der nichts mehr erklären muss. „Lonesome Days“ und dann die Kulmination mit „The Rising“ – die letzte Strecke vor dem Zugabenblock hat dieses Konzert die selbstverständliche Trance der Marathonverausgabung erreicht. „Born To Run“ – Stillstand ist für den Springsteen-Körper keine Option.
Wir revidieren an dieser Stelle unsere erste Einschätzung von „Outlaw Pete“ als eher platte Country-Ballade. Springsteen mit Cowboy-Hut ruft als mythischen Reiter: „Can you hear me?“ Pete löst sich auf, der Horizont verschluckt ihn. Sein einsamer Hut ist alles, was auf der Bühne zurück bleibt. Stadion-Hymnen müssen durch große Gesten dirigiert werden. „Working On A Dream“ – der Rock braucht die Momente der utopischen Ekstase und der Erlösung im Lärm, um mehr zu sein als Feuerzeug-Nostalgie.
Christian Jooß