Gebäck zum Gemecker
Wer das Stänkern, Granteln, Höhnen nicht lassen kann, weiß aus Erfahrung, dass er nicht nur auf Zustimmung von Gesinnungsgenossen hoffen darf. Nicht jeder Ausgelachte hat die Größe von Edmund Stoiber, der seine einstigen Spötter verblüfft, weil er sich neuerdings über seine irre Transrapid-Rede selbst öffentlich schieflachen kann (in der Lanz-Talkshow). Weniger weise gewordene Menschen fühlen sich angegriffen, wenn sie spöttische Töne vernehmen und bellen zurück, egal ob Papstfans oder Riesenradjeepfahrer, Manager, Politiker oder verliebte ältere Herren.
Das klassische Argument der Beleidigten: aus dem Schmäh der Kritiker spreche nichts als Neid. Neid auf die Nobelvilla und die irritierend junge und hübsche neue Frau, Neid auf dicke Abfindungen und üppig honorierte Nebeneinkünfte. Dann schweigt der Kritiker. Wer kennt schon sein Innerstes und kann das ausschließen. Ich wollte keinen dieser ungetümen Protzjeeps geschenkt bekommen, aber gegen 7000 Euro für eine Rede hätte ich nichts, auch nichts gegen 12-Zimmer-Villa zum geräumigeren Dichten und Denken.
Zum Glück gibt es erschwinglichen Luxus, den sich auch Literaten und Harz IV Empfänger leisten können. Lebkuchen zum Beispiel. Die Nürnberger Originalprachtexemplare sind nicht ganz billig, aber es werden genügend preiswerte Sorten angeboten. Da Lebkuchen im Gegensatz zu Bundestagsabgeordneten meist in Zellophan verpackt und damit geradezu vorbildlich transparent sind, kann der Kunde von außen gewisse Rückschlüsse auf die Schmackhaftigkeit ziehen, ehe er die Beute in den Korb legt.
Aber auch hier gibt es ernstzunehmende Einwände. Nicht gegen das wohlschmeckende Gebäck selbst. Auch nicht gegen etwaige Geschmacksverstärker. Wohl aber gegen die Unart, dass Lebkuchen stapelweise schon im September in die Läden kommen, obwohl man sich traditionsgemäß doch erst in der Adventszeit an ihnen labt, möglichst im gemütlichen Schein einer umweltfreundlich flackernden Energiesparkerze. Mitten im schönsten Spätsommer, noch in der Biergartenzeit, sind sie die Vorboten des harten Winters und der im Grunde auch ziemlich harten Weihnachtszeit.
Man möchte sie als Ausgeburten der freien Marktwirtschaft bezeichnen, typisch für den Kapitalismus und seinen perversen Konsumbeschleunigungswahn – wenn es nicht auch in der von uns gegangenen sozialistischen Planwirtschaft massenhaft zu solchen stillosen Verirrungen gekommen wäre. Als aufrechter Verbraucher müsste man zum Boykott aufrufen.
Tatsächlich habe ich aus quasiideologischen Gründen in den vergangenen Jahren Verzicht geübt, meinen Heißhunger unterdrückt und Lebkuchenkäufer vor der Adventszeit als windelweiche Opfer des Konsumterrors beschimpft. Ich habe flammende Reden gehalten gegen die in den Spätsommer gezerrte Vorweihnachtszeit, leider ohne Honorar und nicht vor der Lebkuchenindustrie. Schluss mit der Doppelmoral. Es war verlogenes Gemecker. Lebkuchen sind im Dezember, wenn überhaupt noch zu haben, alt und trocken. Sie schmecken frisch am besten und werden daher von mir ab sofort bedenkenlos vertilgt.
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