Gastbeitrag von Maria Hafner: Künstler im Lockdown
München - Stopp, aus, vorbei. Anfang März hat mich die erste Corona-Welle bei den Proben zum Nockherberg-Singspiel voll erwischt. Als Musikerin und Sängerin wäre ich wieder dabei gewesen. Dann hieß es plötzlich: Abgesagt, drei Tage vor der Live-Sendung. Eine Woche später kamen die Ausgangsbeschränkungen. Aus letzter Woche wurde "damals", "damals als wir noch...". Da war auf einmal etwas vorbei. Für alle. Ein Vorhang, der gefallen ist. Wie im Theater. Ein neuer Akt fing an.
Hafner: Im Frühling mental auf eine Saison als Straßenmusikerin eingestellt
Vor dem Beginn der Beschränkungen hatte ich mir noch schnell zwei Campingstühle besorgt, um mich distanzvoll, aber gemütlich mit Freunden im Freien treffen zu können. Ich bin in der Frühlingssonne gesessen, habe gelesen, gewartet und die Stille genossen. Keine Autos am Giesinger Berg, unglaublich! Am liebsten bin ich mitten auf den Straßen spaziert und habe beobachten gelernt, wie die Sonne ihre Bahn am Himmel täglich millimeterweise ändert. Meine Pflanzen im Innenhof sind vor lauter Zuwendung geradezu explodiert. Und nachdem irgendwann alles an Vorstellungen und Auftritten abgesagt worden war, was abgesagt werden konnte, begann ich, mich mental auf die Saison als Straßenmusikerin einzustellen.
Mit Freunden saß ich dann ab den ersten Lockerungen auf einer Isarbrücke, und wir haben in die Welt hineingespielt. Zurück kamen dankbare Blicke, ein bisschen Taschengeld, nette Begegnungen mit Unbekannten und hin und wieder ein Bier. Ich bin sehr froh, dass ich Musik machen kann und dass es darüber sehr leicht ist, Distanzen zu überwinden. Man landet mit dem, was man tut, sofort im Ohr. Und wenn es gut läuft, mitten im Herz der Menschen.
Sehnsucht nach Bühne und Kollegen
Als Schauspielerin vermisse ich natürlich auch die Bühne und das Zusammenspiel mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Wir hatten im Januar eine große freie Produktion an den Münchner Kammerspielen ("10 Vaterunser", Regie: Christiane Huber). Die Einladung zu den Bayerischen Theatertagen aber, die Zusatzvorstellungen in der Kammer 3 - plötzlich war alles weg. Aber eine Bühne kann überall sein. Ich unterhalte einfach gerne, und wenn es drinnen nicht geht, dann mache ich das eben draußen.
Vor Kurzem war ich zum Beispiel als Nikolaus unterwegs. Zusammen mit Theresa Loibl (meiner Straßenmusik-Kollegin) bin ich abends durch Giesing gelaufen, habe Freunden und Unbekannten überraschende Fenster- und Treppenhausbesuche abgestattet. Da wurde spontan gesungen, ein Klarinettenständchen gespielt, Gedichte aufgesagt und ein Straßenfest für den nächsten Sommer initiiert. Grad schön war's. Natürlich kann ich davon nicht runterbeißen, aber Passivität liegt mir nicht, und so hab' ich ab Mitte Juli auch noch die Gelegenheit genutzt, eine Ausbildung zur Synchronsprecherin zu machen. Alleine als Sprecherin in einem isolierten Studio? Das erschien mir sehr pandemie-sicher. Dafür musste ich allerdings die Straßenmusik-Pläne auf Eis legen.
Zehn Wochen lang, fünf Tage die Woche bin ich dann von 9 bis 18 Uhr in einen Kurs gegangen. Wir waren 24 Auszubildende in einem großen Raum: mit viel Abstand, offenen Türen, Desinfektionsspray und Trainingsstationen zum Üben, Üben, Üben. Jeden Tag haben wir verschiedene Filmszenen in kleine Einheiten aufgeteilt: einmal im Original sehen, sich den auf Deutsch übersetzten Text merken, drüber legen.
Mit Karl Valentins Winterzahnstocher durch die magere Zeit
Am Ende des Kurses ist für mich noch etwas Unglaubliches passiert: Ich bekam die Möglichkeit, sofort im Valentin-Karlstadt-Musäum als freie Mitarbeiterin anzufangen. Seit Oktober sitze ich nun zwei Tage dort im Archiv, helfe Bestände zu inventarisieren, betreue die Social-Media-Kanäle, preise Valentins "Winterzahnstocher" an, plane Veranstaltungen mit. Ja genau: Veranstaltungen!
Denn nach dem Sommer ist vor dem Sommer. Vom Valentin-Karlstadt-Musäum hatte ich, noch bevor ich den Job dort bekam, bereits im Frühjahr als Musikerin wieder die erste Auftrittsanfrage auf dem Tisch liegen. Das Festival "Sommer in der Stadt" war noch nicht einmal ein Gerücht, da hat man dort schon ein fünftägiges Sommerfest mit über 20 Bands und Kabarettistinnen und Kabarettisten geplant gehabt. Jetzt macht es einfach sehr viel Spaß, Teil des kleinen kreativen Musäums-Teams zu sein.
Mit Mischung aus Pragmatik, Glück und Humor durch Coronazeit
Manchmal wundere ich mich selbst, wie ich gerade durch diese Zeit fliege. Es liegt, glaube ich, an einer Mischung aus Pragmatik, Glück und Humor. Den finde ich ja übrigens am wichtigsten - den Humor darf man sich nicht und auch niemals von niemandem versalzen lassen. Selbst wenn man als Nikolaus verkleidet die Tür vor der Nase zugeschlagen bekommt. Nun ja, Humor braucht Vertrauen.
Allerdings war ich nicht unvorbereitet. Spätestens seit dem Unfall eines befreundeten Musikers habe ich diesen Hinweis für Freiberufler, man müsse was auf die hohe Kante legen, ernst genommen. Dazu kommt das Glück, dass ich noch Anspruch auf Arbeitslosengeld I hatte. Es gibt da nämlich eine Arbeitslosenversicherung für Freiberufler beim Arbeitsamt. Und weil wir gerade bei den Tipps sind: Liebe Freiberuflerinnen und Freiberufler, erkundigt euch dringend bei eurer gesetzlichen Krankenkasse, ob ihr den reduzierten oder den vollen Beitrag bezahlt. Nur mit dem vollen erwirbt man Anspruch auf Krankengeld ab dem 43. Tag nach Krank-Schreibung. Da geht es nur um 1,50 Euro pro Monat! Das hab ich übrigens im Synchron-Kurs gelernt, da wurden wir vielfältig beraten.
Die Leute brauchen zur Zeit etwas, das eine Pause im Kopf beschert
Ohne meinen Freundeskreis und meine Familie ginge es auch nicht. Da hab ich immer volle Rückendeckung, das macht mich stark. An Ostern hat mir meine Mama zum Beispiel ein Päckchen mit Lämmchen, Eiern, Kren usw. per Post geschickt. Und als es nicht ankam, gleich noch eines. Am Ende hatte ich zwei. Das ist schon sehr symbolisch. Vor allem, weil meine Mama Pakete-Verschicken eigentlich unnötig und zu teuer findet.

Kreativ-musikalisch hält mich meine "Lose Gruppe" am Laufen. Zusammen mit Florian Burgmayr, Michel Watzinger und Cornelius Borgolte haben wir ein ganzes Album aufgenommen. Wir zelebrieren darin absurd Alltägliches aus der Feder von Herrn Burgmayr, sogenanntes "mimpfmöh" für Bratsche, Hackbrett, Zither, Tuba, Akkordeon und Stimme. "Das macht Pause im Kopf!", hat ein Konzertbesucher einmal gemeint, damals, als noch kein… sie wissen schon. Auf jeden Fall glaube ich fest daran, dass die Welt so was gerade braucht.
Warum tut sich Bayern schwer mit der Unterstützung von Soloselbständigen?
Meine Telefon-Sorgen-Hotline geht in die Oberpfalz zu Eva Karl Faltermeier, einer befreundeten Kabarettistin. Wir haben im letzten Jahr fast täglich telefoniert, uns gegenseitig aufgemuntert und viel weggelacht. Und da gab es schon einiges zum Weglachen. Manche Sachen verstehe ich allerdings bis jetzt nicht. Da kann ich auch nicht lachen. Warum tut man sich etwa in Bayern so schwer mit der Unterstützung von Soloselbständigen? Hätte ich nicht so viel Glück und Humor, hätte ich schon im Mai nach Baden-Württemberg auswandern müssen.
Und ich versteh' überhaupt nicht, warum der auf Juli 2021 verschobenen Giesinger Kulturpreis, Motto: "Ein Schlager für Giesing", vorsorglich jetzt schon ganz abgesagt wurde. Wie pflegt mein Vater zu sagen: Da lachen ja die Hühner! Beziehungsweise alle Veranstalterinnen und Veranstalter vom Valentin-Karlstadt-Musäum bis hin zum Alten Spital in Viechtach im hinteren Bayerischen Wald. Die planen nämlich den Sommer! Und ich? Auf die nächsten Beschränkungen bin ich top vorbereitet: Ich habe zwei Campingstühle, zwei Thermosflaschen und zwei Skianzüge. Nur das Nikolauskostüm musste ich leider schon wieder zurückgeben.