Garanca gegen Barenboim
Das Neujahrskonzert aus Wien im ZDF bekommt Konkurrenz von der ARD
Rund 80 Herren sitzen fast regungslos in einem altmodischen Gründerzeit-Saal und geben ein Kurkonzert. Aufgehübscht wird die Sache nur durch ein, zwei im Orchester versteckte Damen, etwas Musikergeblödel, viel Blumenschmuck und beinewerfende Ballerinen vor Schloss Schönbrunn.
Eigentlich ist dieses Sendeformat nur mit einem Glas Sekt intus und der Flasche in Reichweite zu ertragen. Aber weil es zu Neujahr gehört wie die Knallerei zu Silvester, schalten 50 Millionen Menschen das berühmteste Konzert der Welt ein, statt bei dieser Fremdenverkehrsschleichwerbung unseres Nachbarlandes einfach wegzuzappen. Und nicht wenige Narren erwerben auch noch das ab 7. Januar feilgebotene Souvenir der guten Laune, auf dem fast die gleichen Walzer und Polkas der Strauß-Dynastie drauf sind wie auf der Scheibe des Vorjahrs.
Bis 2012 hat sich das ZDF die Rechte an dieser zur Marke gewordenen Kuriosität gesichert. Das lässt die Konkurrenz begreiflicherweise nicht ruhen: Sie schickt gegen den philharmonischen Zauselklub eine blonde Opernschönheit ins Rennen. Im ersten Neujahrskonzert der ARD singt die Lettin Elina Garanca am Donnerstag ab 10 Uhr Ausschnitte aus Bizets „Carmen“ und Verdis „Don Carlo“, ergänzt nach der Pause durch rassige Zarzuelas aus Spanien.
Im Festspielhaus Baden-Baden, mit 2500 Plätzen nach Selbstlob „größtes deutsches Opernhaus“, wird die Mezzosopranistin vom Klangkörper mit dem längsten Namen in diesem unseren Lande begleitet: Die Deutsche Radio-Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern wird geleitet von Karel Mark Chichon, den die „New York Times“ als „genialen Dirigenten“ bezeichnet haben soll.
Da werden sich die Wiener Philharmoniker aber fürchten. Sie haben heuer Daniel Barenboim gewonnen, um vor ihnen mit einem Stab die Luft zu zerteilen und der Welt in ihrem Namen ein gutes neues Jahr zu wünschen.
Ob der Zuschauer im Ersten auch die spanischen Operettenschmonzetten noch mitbekommen, scheint fraglich. Denn sobald die Wiener im ZDF ihre Geigen heben, wechselt die ARD im Interesse der Quote zum Märchenfilm vom „König Drosselbart“, damit sich die Garanca nicht ohne Fernsehzuschauer versendet.
Das Management der Mezzosopranistin kann zum Jahreswechsel gleich mehrere Korken der Vorfreude knallen lassen: Der gleiche Konzern, der die Wiener Neujahrsveranstaltung auf CD, DVD und Blue Ray verwertet, bringt am 16. Januar auch ihr neues Album „Bel Canto“ heraus. Kurz nach dem von Arte übertragenen Weihnachtskonzert des Amsterdamer Concertgebouw Orkest unter Mariss Jansons mit ähnlichen Arien wirbt die Baden-Badener Gala für eine Tournee im neuen Jahr: Sie führt Elina Garanca mit dem gleichen Programm und ihrem dirigierenden Genie am 23. März auch in die Münchner Philharmonie.
So schaut modernes Cross-Marketing aus, das Übersättigung nicht fürchtet, sondern als Verstärker einsetzt. Das Wiener Neujahrskonzert ist da einen Schritt weiter: Damit uns nicht fad wird, bleibt es zu Hause und macht sich als Luxusmarke rar.
Robert Braunmüller
Das Neujahrskonzert der ARD am 1. Januar um 10 Uhr. Die Wiener Philharmoniker spielen um 11 Uhr im ZDF