Für Gesprächsstoff sorgen

Wie entsteht ein Spielplan? Staatsopern-Chef Nikolaus Bachler über die Dramaturgie seiner dritten Saison an der Bayerischen Staatsoper, in der Calixto Bieito und Hermann Nitsch inszenieren
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Wie entsteht ein Spielplan? Staatsopern-Chef Nikolaus Bachler über die Dramaturgie seiner dritten Saison an der Bayerischen Staatsoper, in der Calixto Bieito und Hermann Nitsch inszenieren

Die Staatsoper brummt. Gesungen wird so gut wie seit Jahren nicht. Die Inszenierungen sind Stadtgespräch und immer ein wenig umstritten. Aber so, dass Neugierige gelockt und Traditionalisten nicht verschreckt werden. Auch die Kasse scheint zu stimmen.

Da kann sich Nikolaus Bachler ein wenig selbstbewusste Eitelkeit leisten. In der kommenden Saison wird, wie es in seiner Heimat heißt, noch ein Schäuferl nachgelegt: Auf eine von Martin Kušej inszenierte „Rusalka“ lässt der Opernchef kurz vor Weihnachten einen „Fidelio“ von Calixto Bieito folgen, damit unterm Christbaum der Gesprächsstoff nicht ausgeht.

„Ein Spielplan ist für mich mehr als eine Ansammlung von Projekten“, sagt Bachler dazu. „Man fängt mit einem Thema an, führt es durch und verwirft es wieder.“ Die neue Saison steht unter dem Motto „Frei unfrei“. Das passt zu Beethovens Oper. Ihre politische Seite findet der Intendant allerdings etwas ausinszeniert, weshalb sich Bieito der Psychologie annehmen wird.

Geistige Migliedschaft

Jenseits seiner Programm-Linie setzt der Intendant auf den „Mehrwert in der Wiedererkennung von Menschen“. Damit ist die regelmäßige Rückkehr bestimmter Regisseure und Dirigenten gemeint. Die Idee bestimmt für Bachler auch das Repertoire: „,Mariusz Kwiecien und Pavol Breslik waren in dieser Spielzeit nicht nur in ,Don Giovanni’, sondern auch in „Eugen Onegin’ gemeinsam zu hören.“ Solche Konstellationen sollen das Publikum als „geistige Mitgliedschaft“ binden und die Besuche der Staatsoper zu einem zentralen Bestandteil des Lebens machen. Wie ein Freundeskreis eben.

Neuinszenierungen haben einen Vorlauf von zwei bis vier Jahren. Bachler redet viel mit Regisseuren, bis es auf beiden Seiten funkt. Auch Florian Bösch, in dessen „Liebestrank“ sich nicht nur das Publikum sondern auch Anna Netrebko und der bei den Festspielen gastierende Rolando Villazón spontan verliebten, kehrt rasch zurück. Er inszeniert eine frühe Opera seria von Mozart. „Bösch wurden überall ,Regimentstöchter’ angeboten“, sagt Bachler. Er wollte ihm erst Bellinis „Capuleti“ anbieten, fand dann aber, dass Mozarts adoleszenter ,Mitridate’ mit seinem Konflikt zwischen Vater und den Söhnen viel besser zu ihm passt.“

Bellinis Romeo-und-JuliaOper bringt Vincent Boussard heraus. Bekannt wurde der Franzose durch den altmodischen, aber handwerklich präzisen „Don Giovanni“, der dirigiert von René Jacobs zur Sensation des Mozart-Jahrs 2006 wurde. Den Doppelabend mit Einaktern von Ravel und dem für München überfälligen Alexander Zemlinsky inszeniert der hierzulande weniger bekannte Pole Grzegorz Jarzyna. Bachler setzt damit eine Linie mit Regisseuren aus Osteuropa fort, die ihm persönlich besonders am Herzen liegt.

Monumentalkatholizismus

Festspielpremiere wird im Juli 2011 Olivier Messiaens Monumentalwerk über Franz von Assisi. Generalmusikdirektor Kent Nagano war bei der Uraufführung als Assistent dabei. Für die szenische Seite sorgt das österreichische Gesamtkunstwerk Hermann Nitsch, der sich sein Leben lang mit rituellem Theater auseinander gesetzt hat.

Möglich sind diese Premieren trotz einer Haushaltssperre. Sie entspricht einer Kürzung um 10 Prozent. „Wir kommen mit Hängen und Würgen über die Runden“, stellt Bachler fest. Die Staatsoper erwirtschaftet gutes Geld durch die Vermietung ihrer Inszenierungen und spielt beachtliche 44 Prozent ihres Etats von 78 Millionen Euro an der Kasse ein. Da ist allerdings kaum mehr Luft: „Wir sind das teuerste Haus in Europa nach Covent Garden“, sorgt sich der Intendant. „Wenn es wirtschaftlich so weitergeht, wird es schwer, bei weniger gefragten Werken teure Karten zu verkaufen.“

Oper für München

Jenseits solcher Sorgen sieht Bachler sein Haus bestens aufgestellt: „Zwischen Mailand, New York und London gibt es viele musikalisch gute Produktionen. Aber sie werden szenisch auf einen globalisierten Austausch hin produziert. Daneben gibt es in Deutschland und in den Niederlanden viel lebendiges Musiktheater. Diese Häuser kommen musikalisch oft nicht an die großen Werke heran. In München geht dank des hervorragenden Orchester beides. Das ist weltweit einmalig“, schmeichelt der Intendant dem Lokalpatriotismus.

Die Zukunft verliert er dabei nicht aus den Augen: Von seinem Büro sieht er auf den Marstallplatz. Dort entsteht der spacige Alu-Pavillon, den Christoph Schlingensief im Juni eröffnet. Auch das wird ordentlich für Gesprächsstoff sorgen.

Robert Braunmüller

Die Premieren

3. 10.: Dvorák: „Rusalka“, Tomáš Hanus (Dirigent), Martin Kušej (Regie), mit Klaus Florian Vogt und Nina Stemme; 21. 12.: Beethoven: „Fidelio“, Daniele Gatti (D), Calixto Bieito (R), mit Wolfgang Koch, Franz-Josef Selig, Jonas Kaufmann, Anja Kampe; 27. 2.: Ravel: „L’Enfant et les sortilèges“, Zemlinsky: „Der Zwerg“, Kent Nagano (D), Grzegorz Jarzyna (R), mit Tara Erraught, John Daszak; 27. 3.: Bellini: „I Capuleti e i Montecchi“, Yves Abel (D), Vincent Boussard (R) mit Vesselina Kasarova und Eri Nakamura; 1. 7.: Messiaen: „Saint Francois d’Assise“, Kent Nagano (D), Hermann Nitsch (R) mit Christine Schäfer und Paul Gay; 21. 7.: Mozart: „Mitridate, rè di Ponto“, Ivor Bolton (D), David Bösch (R), mit Anna Bonitatibus, Lawrence Zazzo (Prinzregententheater).

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