Friedrich Anis rabenschwarzer Krimi

Der Münchner Autor Friedrich Ani hat einen Rachfeldzug aufgeschrieben, der es in sich hat
Das 3000-Seelen-Dorf heißt Heiligsheim, aber es ist die reine Hölle, was sich hier, irgendwo im süddeutschen Raum, abspielt. Vom Pfarrer bis zum Apotheker vergreifen sich die Männer an kleinen Jungs. Und obwohl man doch sonst alles übereinander weiß, schweigen alle über die Vorfälle, selbst als ein Junge überfahren wird und ein anderer sich aus Schmerz und Scham das Leben nimmt. Der 14-jährige Coelestin („Der Himmlische“) wählt einen anderen Weg. „Ich wusste, dass wenn es dunkel wurde, der Teufel kam und kleine Kinder fraß. Mich brachte er nicht runter, der Teufel. Er spie mich wieder aus.“ Coelestin haut ab – und kehrt nach 40 Jahren unerkannt zurück in das Dorf seiner Kindheit. Denn er hat eine Mission.
In „Nackter Mann, der brennt“ baut der Münchner Autor Friedrich Ani eine geradezu klassische Konstellation auf: die Rückkehr des verlorenen Sohnes, eines sehr zornigen Sohnes. Die Hauptrolle in diesem Krimi spielt aber nicht unbedingt der Rächer, es ist vielmehr die dunkle Poesie, mit der Ani den Feldzug begleitet: „Mit gefrorenen Tränen war ich in dieses Dorf zurückgekehrt. In einer Nacht aus Eis würde ich meine Wiege wiederfinden.“ Vier Jahrzehnte hatte sich Coelestin in Berlin aufgehalten, „ein Schatten ohne Jugend“ unermüdlich damit beschäftigt, die „Fenster zu meiner Vergangenheit für alle Zeiten zu verrammeln“. Drogen und Alkohol haben ihm dabei nicht geholfen, ihn aber gezeichnet. Nicht einmal seine eigene Mutter erkennt ihn, als er als Ludwig Dragomir zurückkommt, sich ein leerstehendes Haus kauft und den Dorfbewohnern vorgaukelt, als Komponist für Film und Fernsehen zu arbeiten.
Aber Dragomir wohnt nicht allein, er hält einen Mann gefangen, mit dem er eine Rechnung offen hat. Der Tod von anderen älteren Männern – seltsam, wie sich auf einmal die Unfälle häufen – erweckt auch das Interesse von Kommissarin Anna Darko, die Dragomir ins Visier nimmt. Während Ani in diesem Noir mit etlichen Überraschungen die Handlung vorantreibt, blickt sein Rächer immer wieder zurück auf das Leben, seinen Hass und erläutert seine Weltsicht. Für ihn ist Abraham der Urvater der Feigheit, weil er fast seinen Sohn Isaak geopfert hätte - aus blindem Gehorsam gegenüber Gott. Die bigotte Welt in Heiligsheim, die Atmosphäre aus Angst und Schweigen, die Unmöglichkeit der Kinder, die Taten der Älteren zu verarbeiten, all das macht Ani in packender Prosa und origineller Sprache deutlich. Hier gibt es Blicke, „die einen Scheiterhaufen entzündet hätten“, oder einen „alten Mann mit dem weinenden Kind in seinen Augen“. „Nackter Mann, der brennt“ ist der wohl ungewöhnlichste Krimi, den Ani bislang veröffentlicht hat. Sein Ausflug in die Hardboiled Literatur ist aber keine bloße Fingerübung, sondern ein großartiger, pechschwarzer Rachekrimi von alttestamentarischer Wucht.
Friedrich Ani stellt „Nackter Mann, der brennt“ (Suhrkamp, 224 Seiten, 20 Euro) am Montag, 12. September um 20 Uhr im Substanz vor (Ruppertstraße 28)