Freud blickt in den Ausschnitt
Der Titel ließ das Allerschlimmste befürchten: Vor dem inneren Auge donnerten der Holzhammer des Regietheaters und die stadttheatersozialistische Moralkeule gegen längst eingeschlagene Türen der Großbanken. Im leeren Tresorraum würde dann mit dem Pathos des „Wir haben’s immer schon gewusst” dem internationalen Finanzkapital wortgewaltig heimgeleuchtet.
Aber es kam anders. „Der Geldkomplex” ist ein recht leichtfüßiger Abend. Mit der aktuellen Krise hat er nur entfernt zu tun. Jürgen Kuttner, Regisseur und Nebendarsteller, brachte mit vier Schnellsprechern den gleichnamigen Roman der Schwabinger Bohème-Gräfin Franziska von Reventlov auf Touren. Der entstand im trotz Krieg noch vergleichsweise gemütlichen Jahr 1916: Müßiggänger konnten sich da noch den Weltläufen durch die Flucht in ein geruhsames Schweizer Sanatorium entziehen.
In Reventlovs autobiografischem Briefroman wird die auf der Bühne verdoppelte Gräfin (Carolin Conrad und Katharina Pichler) freudianisch durchleuchtet. Im Marstall übernimmt dies der österreichische Seelenmeister persönlich. Als Puppe schwebt er bei Entspannungsübungen chillend durch den Raum, nicht ohne den Damen gelegentlich lüstern in den Ausschnitt oder die Hosenbeine zu gucken.
Das rundet ein Gesamtkunstwerk: Denn bereits an der Kasse hat einem ein Österreicher mit Nasenring das Programmheft in die Hand gedrückt. Die Platzanweiserin forderte einen im Dialekt unserer lieben Nachbarn zum Zusammenrücken auf. Dass sich die aus Sangershausen im Harz stammende Puppenspielerin Suse Wächter eine authentische Wiener Gelehrtenfärbung zugelegt hat, macht die freundliche Übernahme des Staatsschauspiels durch den neuen Intendanten aus Kärnten vollkommen.
In einer Filmeinblendung unterstreicht Reventlovs Sohn Rolf den autobiografischen Charakter der Geschichte. Wächter und der zweite Puppenspieler Peter Lutz bringen auch noch die Gräfin als Sterntaler sowie den zu beerbenden Schwiegervater der Heldin als Zombie ins Spiel. Ihr Geldkomplex erweist sich allerdings als unheilbar, weil sie unter ökonomisch ungünstigen Vorzeichen das Recht auf Faulheit einfordert. Auch von der Frauenbewegung hält sie nicht viel, weil die nur das dekorative Geschlecht in lästige Beschäftigungsverhältnisse bringen will.
Der eineinhalbstündige Abend parodiert vor allem die Therapiegesellschaft und bleibt hart an der Vorlage. Kuttner knallt gegen Ende als besoffener Russe ein Dutzend Enten vom Himmel. Doch den Vogel des Abends schießen die Puppen ab. Da können die beiden Reventlows, der Regisseur und Artur Klemt als Nationalökonom den Mund zu Abbas „Money” bewegen und auf der Jagd nach Telegrammen über das Sofagebirge der Bühnenbildnerin Kati Seibert stürmen, so viel sie wollen.
Dieser Jux ist auf jeden Fall amüsanter als sauertöpfische Kapitalismuskritik. In der Premiere würzten die Hausangehörigen den freundlichen Applaus kräftig nach. Ist doch schön, wenn alle ihren Spaß haben.
Wieder am 25. und 28. 11. sowie im Dezember im Marstall. Karten unter Tel. 2185 1940. Franziska von Reventlovs Roman „Der Geldkomplex” ist online nachzulesen unter www.zeno.org
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