Freiheitskämpferin auf der Alm

Die letzte Oper von Walter Braunfels, dem populären Opernkomponisten der 1920er und 30er Jahre,, „Jeanne d’Arc“ wurde mit 65 Jahren Verspätung szenisch uraufgeführt.
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Die letzte Oper von Walter Braunfels, dem populären Opernkomponisten der 1920er und 30er Jahre,, „Jeanne d’Arc“ wurde mit 65 Jahren Verspätung szenisch uraufgeführt.

Walter Braunfels verstand die Uraufführung von Hindemiths „Mathis der Maler“ als Herausforderung: Er glaubte es besser zu können und setzte mit eigenem Text und Vertonung der Geschichte um Jeanne d’Arc einen Kontrapunkt zu Hindemiths Grünewald-Visionen. Die Zeit hat zugunsten des „Mathis“ entschieden, trotz des vehementen Jubels, den nun die verspätete szenische Uraufführung von Braunfels’ „Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna“ an der Deutschen Oper Berlin ausgelöst hat. Eine Premiere an der Wiener Staatsoper hatten einst die Nazis verhindert.

Dass sich ausgerechnet Christoph Schlingensief nach seinem Bayreuther „Parsifal“ für diesen mystisch-religiösen Text interessierte, wundert kaum. Braunfels’ simpel gestrickter Text ist eine ideale Spielwiese für krause Inszenierungsideen. Schlingensief konnte krankheitsbedingt seine Arbeit nicht zu Ende führen: Anhand seiner Aufzeichnungen erstellte ein Regieteam die Bühnenfassung.

Ein echter Schlingensief

Es ist dennoch ein echter Schlingensief: Die Gedankenspiele überstürzen sich, Zeiten, Stile und Kulturen werden übereinander geschichtet, laufen auf Parallelebenen gleichzeitig ab und fordern vom Zuschauer aberwitzig schnelles Reaktionsvermögen. Verschlüsselte Botschaften und unverhohlener Kitsch stehen Seite an Seite, und wenn lebende Schafe, Ziegen und Kühe die Bühne bevölkern, wähnt man sich auf einer Alm. Braunfels hat Johannas Helden-, Leidens- und Opfergeschichte auch in einen Breitwand-Sound getaucht, der Sensationslust und Massenszenen herausfordert. Differenzierte Momente sind in dieser sich episch verströmenden, opulenten Musik nur selten zu hören, Wagner und die Spätromantiker lassen grüßen.

Für Schlingensiefs Hang zu Sarkasmus, Satire und Komik bietet Braunfels’ Musik genügend Angriffsfläche. Die Grenzen zwischen Tiefendeutung und Verballhornung bleiben fließend. Ohne dieses Regiekonzept und die fantastisch technokratischen Bauten (Thomas George, Thekla von Mülheim) hätte Braunfels’ Oper kaum die Realisierung gelohnt. Die Musik bleibt zu unverbindlich.

Erfolg durch die Musiker

Dass die Deutsche Oper Berlin dennoch den so notwendigen Erfolg einfahren konnte, geht neben dem Regiekonzept auf das Konto der Musiker, allen voran Mary Mills mit einer sängerischen Glanzleistung als Johanna. Nicht minder souverän ihre Partner Morten Frank Larsen (Gilles de Rais), Paul McNamara (Hl. Michael) und Daniel Kirch (Karl von Valois). Der Spiritus Rector Ulf Schirmer hat das Orchester zu brillant präzisem Spiel animiert. Er zaubert Licht und Schatten in eine Musik, die aus eigener Kraft nur mäßig zu leuchten vermag.

Rüdiger Schwarz

Deutsche Oper Berlin, 2., 6., 17., 31. Mai, Tel. 030 / 34484343

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