Frauen, Lieder und Leben

Die Sopranistin Judith Spiesser hat Lieder von Juliane Reichardt, geb. Benda, aufgenommen, einer Komponistin des 18. Jahrhunderts. Der Pianist Oliver Andreas Frank führt sie ins Heute fort.
von  Michael Bastian Weiß
Archäologie und hohe Kunst: Oliver Andreas Frank und Judith Spiesser.
Archäologie und hohe Kunst: Oliver Andreas Frank und Judith Spiesser. © JS

München - Wer von Juliane Benda bislang noch nichts gehört hat, braucht sich nicht zu genieren: Bis heute ist sie selbst in Fachkreisen kaum bekannt. Allein mit der Wiederentdeckung dieser Sopranistin und Komponistin des 18. Jahrhunderts hat die nachgeborene Sänger-Kollegin Judith Spiesser, gebürtige Münchnerin und seit dieser Saison frischgebackenes Ensemblemitglied des Gärtnerplatztheaters, also schon einmal einen Coup gelandet.

Wer dann, durch dieses sehr besondere Album neugierig geworden, auf die Suche nach der vergessenen Tonsetzerin geht, wird zunächst verwirrt, denn die früh verstorbene Juliane (1752-1783) wird in den Nachschlagewerken unter zwei verschiedenen Familiennamen geführt. Als jüngste Tochter des Geigers und Komponisten Franz Benda trug sie natürlich seinen Namen. 1776 heiratete sie den Komponisten Johann Friedrich Reichardt, der als Freund von Persönlichkeiten wie Kant, Klopstock und Goethe im Mittelpunkt des kulturellen Lebens in Deutschland stand. Dem Paar wurden drei Kinder geboren, darunter die Komponistin Louise Reichardt. Juliane aber wird in den Lexika, gedruckt wie online, unter zwei verschiedenen Familiennamen verzeichnet.

Benda-Reichardts Lieder sind bemerkenswert kurz

Kaum ist diese Verwirrung durch das Wälzen einiger Bücher beseitigt, wird der Hörer des Albums ein weiteres Mal frappiert. Denn die Lieder Juliane Benda-Reichardts sind in den allermeisten Fällen fast so schnell wieder vorbei wie sie begonnen haben: Das zarte "Sophiens Liebe" dauert 28 Sekunden, "Der verliebte Bauer" mit seiner expressiven Melodik 30, "An die Nachtigall" sogar nur 24 Sekunden - die Kompositionen eines Anton Webern wirken wie Epen dagegen.

Das ist schade, weil die betont natürlich gehaltenen Stücklein melodisch durchaus gefällig sind - und Judith Spiesser sie mit ihrem zierlichen und leuchtenden Sopran so hübsch singt, dass man gerne mehr hören würde. Hätte man nicht jeweils noch ein paar weitere Strophen auffinden können?

Das Album ist höchst originell und hörenswert ist

Stattdessen wählen Judith Spiesser und ihr Begleiter Oliver Andreas Frank einen anderen Weg, um den doch etwas komischen Eindruck, den die mit ihren paar Takten unfertig wirkenden Lieder hinterlassen, zu mildern. Oliver Andreas Frank hat jeweils eigene Variationen zu den Originalkompositionen gefertigt, die zwar bis zu acht Mal länger dauern, diesen aber keine eigenständige zeitgenössische Perspektive gegenüberstellen und somit immer ein wenig wie Fälschungen klingen.

Das ändert nichts daran, dass dieses Album höchst originell und hörenswert ist - auch, wenn trotz aller Freude über die schöne Wiederentdeckung die Musikgeschichte nicht gleich neu geschrieben werden muss.


Juliane Benda / Oliver Andreas Frank: "Lieder 1782 & 2020", Judith Spiesser (Sopran), Oliver Andreas Frank (Fortepiano), (Palaion)

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