Frank-Walter Steinmeier: Vom Kümmerer zu Kurnaz
Es war ein bemerkenswert kritisches, mehrschichtiges Porträt, das die ARD gestern Abend über den Kanzlerkandidaten der SPD ausgestrahlt hat. Selbst Frank-Walter Steinmeiers Mutter sparte nicht mit kritischen Zwischentönen.
Gewiss: Hans Jürgen Börners und Tom Ockers Film „Steinmeier. Der Herausforderer“ enthielt die üblichen, sattsam bekannten hagiographischen Versatzstücke, Klischees und Etiketten, die Medien dem 53-Jährigen gerne ankleben.
Da ist „der Frank aus Brakelsiek“, ein unauffälliger, netter, effizienter, leiser, vielleicht ein bisschen langweiliger Kumpeltyp vom Lande, der für jeden ein Ohr hat. Da sind Bruder, Freunde und Ehefrau, die Steinmeier vor der Kamera über den grünen Klee loben dürfen. „Er lacht so gern“, gurrt etwa Steinmeiers Gattin Elke Büdenbender: „Ich finde ihn nach wie vor sehr attraktiv. Er ist ein sehr sensibler Mann.“
Da ist Altkanzler und Steinmeier-Mentor Gerhard Schröder, der über seine einstige „graue Effizienz“ jovial tönt: „Frank ist nicht nur ein Abklatsch von mir, der kann wirklich Kanzler.“ Da ist sein Ex-Professor, der über den Juristen Steinmeier sagt: „Die Studenten haben ihn geliebt, mit Recht, denn er war ein sehr guter Lehrer, er hat sich sehr für eingesetzt.“ Da ist SPD-Chef Franz Müntefering, der seinen Kanzlerkandidaten als Politiker preist, der gegen Massenarbeitslosigkeit und für Vollbeschäftigung kämpft.
"Du hast ein wenig gebieselt"
Und da sind die Autoren selbst, die nicht sparen mit freundlichen Worten für den Kandidaten: „Er ist ein fröhlicher Mensch mit hoher Toleranzschwelle, mit dem man gut zurechtkommt“, berichten sie über den Studenten Steinmeier. Dessen Wohngemeinschaften hätten nach dem „Prinzip Brakelsiek“ funktioniert: „Statt Revolution Probleme lösen.“ Stets sei „der Frank ein Kümmerer für alle und für alle Lebenslagen“ gewesen. Dazu zeigen sie ein Video, indem der junge Steinmeier ein Baby hochhält und dem Kind freundlich zuflüstert: „Du hast ein wenig gebieselt.“
Dieses weichgezeichnete Bild des lieben Frank wird jedoch immer wieder jäh von verstörend kritischen, skeptischen Äußerungen konterkariert. Tief besorgt äußert sich etwa Steinmeiers Mutter Ursula, die früher in einer Pinselfabrik und im Wald gearbeitet hat: „Die Aussichten im Moment sind ja nicht so rosig für die SPD. Und dann meint man immer, er wird nur verheizt. Man möchte ja den als Mutter den Kindern so viel wie möglich ersparen.“
SPD-Vize Andrea Nahles äußert unverholen, was ihr an Steinmeier missfällt: „Dass er manchmal zu ironisch ist.“ So habe er, als tapfere Genossen in Rheinland-Pfalz einen Riesenberg von belegten Brötchen herbeigeschleppt hätten, gesagt: „Aber Sie wissen schon, dass die Blockade über Berlin aufgelöst ist.“ Ungleich härter fällt die Kritik von Wolfgang Nowak aus, der unter Rot-Grün Planungschef im Kanzleramt und damit einer der engsten Mitarbeiter Steinmeiers war. Über dessen öffentliche Reden lästert Nowak: „Die Leute klatschen und fragen dann: Was hat er gesagt? Nichts. Es bleibt nichts haften von diesem Mann. Es bleiben die geballten Fäuste haften und das Oberhemd. Aber das kann Schröder besser.“
"Ich saß wegen Steinmeier vier Jahre in Guantanamo"
Den härtesten Kritiker Steinmeiers haben sich die Autoren aber bis ganz zum Schluss aufgespart: Es ist der Deutsch-Türke Murat Kurnaz: „Ich habe wegen Frank-Walter Steinmeier mindestens vier Jahre unschuldig in Guantanamo gesessen“, sagt der verbittert und wirft dem Außenminister Arroganz vor. „Er hat mich nicht rausgeholt.“ Aus Staatsräson, aus Angst vor Terror in Deutschland. Steinmeier habe sich bis heute nicht bei ihm entschuldigt, sagt Kurnaz. Bürokrat Nowak pflichtet ihm zynisch bei: „So ein armes Würstchen wie Herr Kurnaz ist unter diesen Machtapparat Kanzleramt geraten. Man hat ihm juristisch einwandfrei unrecht getan. Das sollte man ihm auch sagen.“
Die Rechtfertigung Steinmeiers, des netten Frank, des Kümmerers, fällt erschütternd dürftig aus. Er sagt in die Kamera der Journalisten: „Ich hätte Herrn Kurnaz in einem persönlichen Gespräch auch kaum anderes zu sagen, als das, was ich ihnen hier sage.“
Markus Jox