Frank Schätzing: HAL, bitte übernehmen Sie!
Frank Schätzing stellt seinen Triller „Die Tyrannei des Schmetterlings“ heute live in der Philharmonie im Gasteig vor
Kalifornien, Sierra Nevada. Der Sheriff einer abgelegenen Gegend hat mit Kleindelikten, illegalem Drogenanbau und Personalknappheit zu kämpfen. Dann stürzt eine Frau unter rätselhaften Umständen in eine Schlucht. Der Ermittler gerät in den Sog aberwitziger Ereignisse und beginnt schon bald an seinem Verstand zu zweifeln. So beginnt Frank Schätzings neuer Triller „Die Tyrannei des Schmetterlings“, den der Autor heute in der Philharmonie vorstellt und der sich mit dem Thema Künstliche Intelligenz beschäftigt.
AZ: Herr Schätzing, ich frage mich oft, worin eigentlich der Mehrwert von Lesung besteht. Zu Hause sitze ich bequemer, und schneller geht es auch.
FRANK SCHÄTZING: Ganz ihrer Meinung. Darum lese ich nicht bei Wasserglas und Lämpchen vor, sondern erzähle von den Recherchen zum Buch – wen ich in Kalifornien alles Spannendes getroffen, welche Geheimnisse ich erfahren habe. Es gibt jede Menge Hintergrundinformation.
Sind Sie ganz allein in der riesigen Philharmonie?
Nicht ganz. Wir haben eine große Leinwand, auf der Sie einer Künstlichen Intelligenz in Gestalt der Schauspielerin Nora Waldstätten begegnen werden. Mit ihr unterhalte ich mich eine ganze Weile. Nora ist großartig: charmant und gespenstisch zugleich. Außerdem wirkt Markus Reuter mit, ein Musiker aus dem Umfeld der Band King Crimson. Markus hat ein Gitarren-Computer-System entwickelt, mittels dessen er fantastische Klanglandschaften erschafft. Er wird sich musikalisch ins Innere einer KI versetzen, kurz, wir erzählen „Die Tyrannei des Schmetterlings“ multimedial weiter.
Muss man als Besucher Ihr Buch gelesen haben?
Nein. Wenn Sie es schon kennen, erfahren Sie dennoch Neues. Wer es nicht gelesen hat, wird ans Thema ran geführt, ohne dass ich irgendetwas verrate, was den Lesespaß verdirbt.
Wieso werden die Schmetterlinge denn tyrannisch?
Es geht ja um eine maschinelle Superintelligenz im Buch. Künstliche Intelligenzen sind autonom lernende Systeme, sie füttern sich selbst mit Informationen, und nun stellt sich der Entwickler der KI vor, wie alle diese Speicherschränke Wissen ansammeln – mehr und mehr in immer kürzerer Zeit. Sie erscheinen ihm wie Kokons, in denen eine Art digitaler Weltgeist heranreift, der eines Tages als farbenprächtiger Schmetterling schlüpfen und sämtliche Probleme der Menschheit lösen wird. Dass die Flügel dieses Schmetterlings auch schwarz sein könnten, kommt ihm nicht in den Sinn.
Beim Supercomputer denkt man unweigerlich an „HAL“ in Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“.
Visionäre wie Kubrick oder Isaac Asimov haben sich schon vor Jahrzehnten mit der Idee eines Supercomputers beschäftigt, der klüger ist als wir alle und dessen Entschlüsse für uns unergründlich sind. Also ein klassisches Thema der Science-Fiction-Literatur, das aber einen neuen Reiz entfaltet, weil wir erstmals unmittelbar an der Schwelle zu dieser Entwicklung stehen.
Viele Leute fürchten sich davor.
Und als Thriller-Autor spiele ich natürlich mit der Furcht, klar. Ausgiebig und lustvoll. Privat bin ich überhaupt kein Freund von Wissenschaftsskepsis. Künstliche Intelligenz ist vor allem eine Technologie, die große Chancen und natürlich entsprechende Risiken birgt, bislang hat sich allerdings noch kein Computer irgendwelcher Weltherrschaftspläne verdächtig gemacht. Die meisten KI sind heute fachspezifische Anwendungen: selbstfahrende Autos, Navigationssysteme, medizinische Diagnosesysteme. Technologien also mit dem Potenzial, unser Leben zu erleichtern.
Womöglich vernichten sie aber auch Arbeitsplätze.
Und schaffen neue, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. Die Erfindung des Außenbordmotors hat Tausende Galeerensklaven ihren Job gekostet, aber ich bezweifle, dass das eine erfüllende Arbeit war. Eine umfassende künstliche Intelligenz, die zumindest algorithmisch menschliche Bedürfnisse nachempfinden kann, könnte sich durchaus als Segen erweisen. Wir müssen nur verstehen, dass eine Maschine, die sich aus eigener Kraft verbessern kann, irgendwann zur Black Box wird. Wir werden nicht mehr voraussagen können, zu welchen Sinnschlüssen sie gelangt. Deshalb ist es wichtig, das Kontrollproblem lösen, damit uns diese Technologie nicht entgleitet.
Abgesehen von der Technologie fiel mir in Ihrem Buch auf, dass Sie Landschaften lieben.
Stimmt, es macht mir Spaß, sie zu schildern. Ich sehe ständig Filme auf meiner Großhirnrinde, die ich dann abschreibe. Im Buch haben die Landschaften aber auch eine Funktion. Sie bilden ein analoges Gegengewicht zur fremdartigen digitalen Welt der künstlichen Intelligenz. Deshalb beginnt das Buch in Sierra County, einer der am dünnsten besiedelten Gegenden der USA und nicht in Silicon Valley, wo selbst die Raumpfleger von Google mehr über KI wissen als man selbst.
Frank Schätzing stellt „Die Tyrannei des Schmetterlings“ (Kiepenheuer & Witsch, 736 S., 26 Euro) heute im Gasteig vor. Karten zu 39 Euro bei Münchenticket und unter Tel: 93 60 93