Foto-Schau in der Pasinger Fabrik: Im Westen was Neues

Eine Foto-Schau in der Pasinger Fabrik widmet sich den städtebaulichen Veränderungen auf dem aufgelassenen Bahngelände zwischen dem Hauptbahnhof, Laim und Pasing.
von  Joachim Goetz
So hat es im Sommer 2004 über der Laimer Unterführung ausgesehen: Links der Bildmitte ist die ehemalige Paketposthalle zu sehen, rechts der Hauptbahnhof und die Frauentürme.
So hat es im Sommer 2004 über der Laimer Unterführung ausgesehen: Links der Bildmitte ist die ehemalige Paketposthalle zu sehen, rechts der Hauptbahnhof und die Frauentürme. © Werner Resch, 2004

Zwanzig lange Jahre hielt die ambitionierte Fotogruppe der Volkshochschule Pasing das Gebiet entlang der Gleisanlagen zwischen dem Münchner Hauptbahnhof und Pasing sozusagen unter ständiger Beobachtung. Mit Hilfe vieler Kameras freilich. Was allein schon bemerkenswert ist und zugleich das umfangreichste Langzeit-Fotoprojekt, das die Münchner Volkshochschule nach Domagkpark und Freiham je umgesetzt hat.

Eine neunköpfige Gruppe begann 2002 damit, das Areal zu erkunden

Auf die Idee, die urbanistische Entwicklung dieses knapp 180 Hektar großen, 8 Kilometer langen Gebiets fotografisch zu begleiten, kam einst Wolfgang Czisch. Der damalige Leiter der VHS Süd war fasziniert von den Plänen, nach denen das nach dem Abzug von Container- und Rangierbahnhof frei werdende alte Gleis- und Bahnhofsgelände umstrukturiert und für die Stadt nutzbar gemacht werden sollte.

Werner Resch, langjähriger VHS-Foto-Dozent, fing mit einer insgesamt neunköpfigen Foto-Truppe schnurstracks an, das Areal zu erkunden, Veränderungen zu dokumentieren, Interessantes, Skurriles, Auffallendes abzubilden. Baustellen, Neubauten, Abbruch-Häuser inbegriffen.

Arnulfpark, Busbahnhof, Pasing Arcarden bekannteste Teile des Entwicklungsprojekts

Entstanden sind dort seither Wohnungen für mehr als 17.000 Menschen und Raum für mehr als 21.000 Arbeitsplätze. Der Arnulfpark und der an die Hackerbrücke angedockte Zentrale Busbahnhof sind neben den Pasing-Arcaden und den Bauten an der neuen S-Bahnstation Hirschgarten die wohl bekanntesten Teile dieser städtischen Entwicklungsprojekte und zu weiten Teilen fertiggestellt. Außerdem gehören die Paul-Gerhardt-Allee, der Birketweg oder Laim dazu.

Abriss der Zugwaschanlage am Birketweg mit Blick auf die Friedenheimer Brücke und das Hochhaus an der Donnersbergerbrücke.
Abriss der Zugwaschanlage am Birketweg mit Blick auf die Friedenheimer Brücke und das Hochhaus an der Donnersbergerbrücke. © Wolfgang Schmitz, 2006

400 Fotografien zeigen die Veränderungen zwischen dem Hauptbahnhof und Pasing

Nach diesen Namen gliedert sich auch die derzeit in der Pasinger Fabrik gezeigte Ausstellung mit dem Titel "Spuren der Vergänglichkeit. Achse im Wandel - Hauptbahnhof Laim Pasing 2002 - 2022".

Zu sehen ist eine repräsentative Auswahl von etwa 400 Fotografien, die unter den mehr als 10.000 seit 2002 entstandenen ausgewählt wurden. Also das faszinierende Ergebnis dieser beharrlichen, engagierten Gruppe. 280 Bilder hat übrigens vor zehn Jahren schon das Stadtarchiv übernommen.

Stadtforscher und urbanistische Spurensicherer

Zu Anfang stellten sich die Fotografen Fragen: Dokumentieren wir das Verschwinden oder bewahren wir das Vergangene? Machen wir eine Bestandsaufnahme oder ein Archiv? Oder ist das womöglich dasselbe? Jedenfalls begriffen sie sich in gewisser Weise als Stadtforscher, als urbanistische Spurensicherer. Das Ganze mit einer heterogenen Dokumentationsmethode und nicht zu vergessen: mit einem jeweils individuellen künstlerischen und ästhetischen Anspruch.

Das Design Office des Architekten Antonio Citterio im Arnulfpark bietet Büros, Coworking Spaces und eine Radlgarage.
Das Design Office des Architekten Antonio Citterio im Arnulfpark bietet Büros, Coworking Spaces und eine Radlgarage. © Werner Resch, 2021

Schemenhafte Bilder, wie aus einer vergangenen Zeit

Deutlich zeigt sich dies etwa bei den Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Alfred Braun. Mit seiner selbst gebauten "Camera obscura", also einer Art Schachtel mit einem Loch als Objektiv, wollte er dem "rational und technisch geprägten Entwicklungsprojekt mit Empfindungen und Fantasie begegnen." So entstanden - da ein Sucher fehlt - überraschende, weich konturierte, schemenhafte Bilder, die für den Betrachter wie aus einer vergangenen Zeit wirken.

Viele der Bahnbauten sind in den letzten 20 Jahren verschwunden

Richtig vergangen sind freilich viele fotografierte Objekte und Situationen wie etwa die Autoverwertung am Birketweg, an die jetzt alte Auspuffrohre, rostige Kotflügel und übereinandergestapelte Limousinen erinnern. Viele Bahnbauten verschwanden: hölzerne Lokschuppen, gelb gestrichene Stellwerkstürmchen, die Zugwaschanlage oder der gesamte Laimer Güterbahnhof.

Dem widmeten sich Martin Reindl oder Anne Menke-Schwinghammer mit betörenden Aufnahmen voll vom morbiden Charme des Ruinenhaften. Da wachsen schnelle Bäume durch metallene Traggerüste, die kaum Wände, keine Fenster oder Türen mehr besitzen. Mitunter fügen sich Abbruchmaterialien und zerfallene Baustrukturen zu Fotokompositionen, die an Bilder zerbombter europäischer Städte erinnern. Auf eine ganz eigene Weise faszinieren auch still gelegte Gleisstraßen, die sich zwischenzeitlich die Natur zurückerobert hat.

Über historische Bauten Geschichten erzählen

Bei einigen Gebäuden ist es jammerschade, dass sie nicht erhalten wurden. Historische Bauten, sorgen für Identität, für Erinnerung, für historisches Bewusstsein, selbst wenn sie innerhalb der neuen häufig höheren, moderneren, schickeren Architektur mitunter wie Miniaturen aus der Modelleisenbahnkiste wirken. Über sie kann man mitunter auch Geschichten erzählen. Angesichts der oft anonym, steril, nichtssagend daherkommenden neuen Wohnbebauungen wäre das doch nicht verkehrt. Selbst wenn sich dann Bauten wie der erhaltene alte Pasinger Bürklein-Bahnhof in seiner teils futuristischen neuen Umgebung vielleicht ein bisschen old-fashioned oder gar fehl am Platz vorkommt.

Historische Bauten als Eyecatcher

Die Erkenntnis, dass solche Bauten wertvoll und erhaltenswert sind, hat sich (bei Investoren) ja leider erst durchgesetzt, als diese bemerkten, dass man auch alte Bunker, herrschaftliche Villen oder loftartige verlassene Produktionshallen durch die entsprechende Umnutzung gut verkaufen kann. Die alte Pasinger Kuvertfabrik am Knie jedenfalls wurde saniert und gerettet - und fungiert nun als Eyecatcher inmitten einer ganz neuen, sehr dichten Wohnbebauung, die gerade bezugsfertig wird.

Abriss und Neubau - das gilt heute Gott sei Dank nicht mehr absolut. So gesehen dokumentiert die Ausstellung nicht nur den Wandel eines aufgelassenen Bahngeländes mit Wildwuchs, Ruinen und verlassenen Objekten, sondern auch den Wandel städtebaulich-architektonischer Überzeugungen. Und ist schon deshalb ebenso wie die dazu im Franz Schiermeier Verlag erschienene Publikation zweifellos sehenswert. Atmosphärisch eindrucksvoll und deshalb für sämtliche Besucher ein Gewinn ist sie ohnehin.


Ausstellungen Pasinger Fabrik, Galerie 1-3, "Achse im Wandel" bis 29. Januar, Di - So 17.30 bis 20.30 Uhr, geschlossen 23. bis 25. Dezember, Silvester und Neujahr; MVHS Bäckerstraße 14, "Spuren der Vergänglichkeit", Mo - Fr 9 bis 20, Sa/So 9 bis 17 Uhr, geschlossen 23.12. bis 8.1.
Begleitprogramm www.pasinger-fabrik.de
Katalog Werner Resch u. a.: "Achse im Wandel: Hauptbahnhof Laim Pasing" www.franz-schiermeier-verlag, 176 Seiten, 245 Abbildungen, 19,50 Euro)

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